Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
»Und Sie selbst, kommen Sie zurecht, Siobhan?«
»Ja, ich komm schon klar.«
»Darauf wette ich. Also, bis morgen dann.«
»Gute Nacht, Sir.«
Sie legte den Hörer auf. Ihr Glas war leer. Diesen ganzen Quatsch haben Sie doch bloß von John Rebus übernommen. Das hatte Grant gesagt, als sie sich gestritten hatten. Und jetzt saß sie mit einem leeren Glas in der Hand in der Dunkelheit und starrte aus dem Fenster.
»Nein, ich bin nicht wie Rebus«, sagte sie laut, nahm dann das Telefon und wählte seine Nummer. Doch bei ihm zu Hause meldete sich bloß der Anrufbeantworter. Aber er hatte ja ein Handy. Wahrscheinlich war er mal wieder auf Zechtour, ja, ganz sicher war er auf Zechtour. Wenn er Lust hatte, konnten sie sich ja noch irgendwo treffen, ein paar Spätlokale abklappern, all die schummrigen Kaschemmen, in denen er Zuflucht vor der Dunkelheit suchte.
Allerdings würde er vermutlich mit ihr über Grant reden wollen, über die Umarmung, in der er sie angetroffen zu haben rnemte. Wenigstens würde das Thema die ganze Zeit im Räume stehen, egal, worüber sie sonst noch sprechen mochten.
So saß sie eine Weile grübelnd da und wählte dann trotzdem seine Handynummer. Wieder nur die Mailbox, und wieder hinterließ sie keine Nachricht. Natürlich gab es noch seinen blöden Piepser, aber sie wurde allmählich müde. Ein Becher Tee wäre vielleicht nicht schlecht... konnte sie ja mit ins Bett nehmen. Sie schaltete den Kocher ein und suchte nach Teebeuteln. Die Packung war leer. Im Schrank gab es nur noch ein paar kleine Beutel mit so Kräuterzeug: Kamille. Sie überlegte, ob die Tankstelle um die Ecke noch geöffnet hatte... oder vielleicht die Frittenbude in der Broughton Street. Ja, genau, das war's! Das war die Lösung all ihrer Probleme. Sie schlüpfte in ihre Schuhe, zog den Mantel an und vergewisserte sich, dass sie Schlüssel und Geld dabeihatte. Sie ging nach unten und zog die Eingangstür sorgfältig ins Schloss. Dann noch ein paar Stufen, und schon stand sie auf der nächtlichen Straße auf der Suche nach dem einzigen Verbündeten, auf den sie sich wirklich verlassen konnte, ganz gleich, was auch geschah.
Schokolade.
9
Kurz nach halb acht läutete das Telefon. Sie stolperte aus dem Bett und tappte ins Wohnzimmer. Sie hielt eine Hand gegen die Stirn gepresst, mit der anderen tastete sie nach dem Hörer.
»Hallo?«
»Guten Morgen, Siobhan. Hoffentlich habe ich Sie nicht geweckt.«
»Nein, ich mache gerade Frühstück.« Sie öffnete und schloss die Augen und zog merkwürdige Grimassen, um schneller wach zu werden. Der Farmer klang, als ob er schon seit Stunden auf den Beinen wäre.
»Also, ich möchte Sie nicht lange aufhalten, aber ich habe soeben etwas sehr Interessantes erfahren.«
»Von einem Ihrer Bekannten?«
»Ja, auch so ein Frühaufsteher. Der Mann schreibt gerade an einem Buch über den Templerorden und die Freimaurer. Deshalb hat er es sofort begriffen.«
Siobhan war jetzt in der Küche. Sie sah nach, ob Wasser im Kocher war, und schaltete das Gerät dann ein. Der Instantkaffee in dem Glas reichte vielleicht noch für drei oder vier Tassen. In den nächsten Tagen war ein Großeinkauf fällig. Schokoladenkrümel auf der Arbeitsfläche. Sie nahm sie mit dem Zeigefinger auf und schob sie sich in den Mund.
»Was begriffen?«, fragte sie.
Der Farmer fing an zu lachen. »Sie sind noch nicht ganz wach, oder?«
»Nur ein bisschen übermüdet.«
»Spät geworden gestern?«
»Zu viel Rolo gegessen wahrscheinlich. Was begriffen, Sir?«
»Was es mit dem Rätsel auf sich hat. Es bezieht sich auf die Rosslyn-Kapelle. Wissen Sie, wo die ist?«
»Ich bin noch vor gar nicht so langer Zeit dort gewesen.« Ein anderer Fall, in dem sie mit Rebus ermittelt hatte.
»Dann haben Sie es eventuell sogar mit eigenen Augen gesehen. Eines der Fenster muss mit Maisreliefs verziert sein.«
»Nein, das ist mir nicht aufgefallen.« Aber sie wurde allmählich wach.
»Obwohl Mais in Großbritannien noch unbekannt war, als die Kapelle gebaut wurde.«
»A corny beginning«, sagte sie.
»Richtig.«
»Und the mason's dream?«
»Sicher sind Ihnen in der Kapelle die beiden kunstvoll gearbeiteten Pfeiler aufgefallen: der Maurer- und der Lehrlingspfeiler. Die Legende will, dass der Maurermeister damals ins Ausland gereist ist, um einige berühmte Entwürfe zu studieren, die er sich beim Bau seiner Säule zum Vorbild nehmen wollte. Während der Meister unterwegs war, erschien die fertige Säule einem seiner
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