Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
plötzlich. Rebus hatte den Eindruck, dass er nicht etwa Philippas Tod meinte, sondern den immensen Aufwand, den die Polizei seit dem Verschwinden des Mädchens betrieben hatte: die Kontrollen an Schiffsanlegern, auf Bahnhöfen und Flughäfen... und das alles in der Hoffnung, dass sie vielleicht, nur vielleicht, noch am Leben war. Dabei hatte sie die ganze Zeit hier hinter diesen Büschen gelegen, und jeden Tag waren mehr potenzielle Spuren oder Beweismittel verschwunden.
»Glück gehabt, dass wir sie wenigstens so schnell gefunden haben«, sagte Gates, vielleicht um Pryde zu trösten. Immerhin hatte man erst vor einigen Monaten in einem anderen Teil des Parks direkt neben einem belebten Spazierweg die Leiche einer anderen Frau gefunden. Doch die hatte dort schon über einen Monat gelegen. Und dann hatte sich erwiesen, dass die Frau einem »Familiendrama« zum Opfer gefallen war, wie es im Polizeijargon hieß, wenn ein Mensch von seinen eigenen Angehörigen ins Jenseits befördert wurde.
Weiter unten fuhr ein grauer Leichenwagen vor. Die Leiche würde nun in einem Plastiksack verstaut und zum Western General Hospital gebracht werden, wo Gates dann die Autopsie vornehmen konnte.
»Schleifspuren an den Fersen«, sagte Gates gerade in sein Diktafon. »Nicht sehr deutlich ausgeprägt. Die Lividität stimmt mit der Lage des Körpers überein. Das Mädchen muss also noch gelebt haben, als es hierher geschleppt wurde, oder noch nicht lange tot gewesen sein.«
Gill Templer blickte umher. »Wie weiträumig sollen wir das Gelände durchsuchen lassen?«
»Vielleicht im Umkreis von fünfzig, hundert Metern«, entgegnete Gates. Gill blickte in Rebus' Richtung, und er sah, dass sie nicht viel Hoffnung hatte. »Kaum eine Chance, noch herauszufinden, von wo der Mörder das Mädchen hinter die Ginsterbüsche gezogen hatte - wenn sie dabei nicht zufällig etwas verloren hatte.«
»Nichts in den Taschen?«, fragte Rebus.
Gates schüttelte den Kopf. »Aber Schmuck an den Händen und eine ziemlich teure Uhr.« ;
»Cartier«, ergänzte Gill.
»Na, dann können wir Raub ja wohl ausschließen«, murmelte Rebus, und Gates musste lächeln.
»Auch die Kleider sehen nicht so aus, als ob sie durcheinander gebracht worden wären«, sagte der Pathologe, »ein Sexualverbrechen dürfte also vermutlich ebenfalls auszuschließen sein.«
»So, so. Wird ja immer einfacher.« Rebus sah Gill an. »Den Fall lösen wir doch mit links.«
»Was glauben Sie, weshalb ich so strahle?«, entgegnete sie ernst. Auf dem Revier in der St. Leonard's Street gab es kein anderes Thema, doch Siobhan war wie betäubt. Seit sie sich - wie vermutlich vor ihr Philippa - auf dieses Spiel mit Quizmaster eingelassen hatte, war ihr die verschwundene Studentin ans Herz gewachsen. Doch jetzt galt das Mädchen nicht mehr als vermisst, und die schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet.
»Das haben wir doch schon die ganze Zeit gewusst«, sagte Grant. »War doch nur eine Frage der Zeit, wann ihre Leiche gefunden wird.« Er warf sein Notizbuch vor sich auf den Schreibtisch. Drei oder vier Seiten waren ganz mit Anagrammen gefüllt. Dann setzte er sich und nahm mit dem Stift in der Hand ein frisches Blatt in Angriff. George Silvers und Ellen Wylie waren ebenfalls anwesend.
»Erst am letzten Wochenende bin ich mit den Kindern auf dem Arthur's Seat gewesen«, sagte Silvers.
Siobhan erkundigte sich danach, wer die Leiche gefunden hatte.
»Eine Spaziergängerin«, antwortete Wylie. »So weit ich weiß eine Frau mittleren Alters, die dort jeden Tag vorbeigeht.«
»Wird eine Weile dauern, bis sie die Gewohnheit wieder aufnimmt«, murmelte Silvers.
»Und hat Flip die ganze Zeit dort gelegen?« Siobhan sah befremdet zu Grant hinüber, der unbeirrt neue Buchstabenkombinationen ausprobierte. Vielleicht war es ja richtig, dass einfach weiterarbeitete. Trotzdem konnte sie einen gewissen Widerwillen nicht unterdrücken. Wie konnte ihn die schreckliche Nachricht nur so wenig tangieren? Sogar George Silvers, wahrscheinlich ein Zyniker der Sonderklasse, wirkte einigermaßen schockiert.
»Auf dem Arthur's Seat«, wiederholte er. »Erst am letzten Wochenende.«
Dann beantwortete Wylie Siobhans Frage: »Jedenfalls ist die Hauptkommissarin dieser Meinung.« Während sie sprach, blickte sie vor sich auf den Schreibtisch und entfernte mit einem Finger imaginäre Staubkörner von dem Holz.
Es kränkte sie, dachte Siobhan... Sie braucht bloß das Wort »Hauptkommissarin«
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