Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
rennen.«
»Sind die denn alle so eifrig?«, fragte Siobhan.
»Eifrig, wenn es darum geht, an die frische Luft zu kommen, ja.«
Die meisten Studenten nahmen keine Notiz von den drei Besuchern. Die wenigen, die das dennoch taten, schienen Gurt zu erkennen und grüßten ihn lächelnd. Als der Raum sich schließlich zu drei Vierteln geleert hatte, stellte Gurt sich auf die Zehenspitzen.
»Claire? Hätten Sie mal kurz Zeit?«
Das Mädchen war groß gewachsen und sehr dünn, hatte kurzes blondes Haar und eine lange gerade Nase. Ihre Augen standen schräg, fast ein wenig fernöstlich. Sie trug zwei Mappen unter dem Arm und hielt ein Mobiltelefon in der Hand. Auf dem Weg aus dem Hör saal hatte sie aufmerksam das Display studiert, vielleicht weil sie eine Nachricht erwartete. Sie kam lächelnd zu ihnen hinüber.
»Hallo, Dr. Gurt.« Ihre Stimme klang fast fröhlich.
»Claire, diese beiden Polizeibeamten möchten Sie gerne sprechen.«
»Ist es wegen Flip?« Ihr Gesicht war plötzlich todernst, jede Freude daraus gewichen, und selbst ihre Stimme klang ganz hohl.
Siobhan nickte langsam. »Nur ein paar kurze Fragen.«
»Ich ertappe mich immer wieder bei der Vorstellung, dass es sich um eine Verwechslung handeln muss, dass sie es gar nicht gewesen ist...« Sie sah den Pathologen an. »Haben Sie...?«
Curt schüttelte nur leicht den Kopf, doch offenbar um zu signalisieren, dass er ihre Frage nicht beantworten wollte. Rebus und Siobhan wussten, dass Curt einer der beiden Pathologen gewesen war, die Philippa Balfour obduziert hatten. Der andere war Professor Gates gewesen.
Und Claire Benzie wusste das ebenfalls. Ihr Blick war noch immer auf Dr. Curt gerichtet. »Haben Sie je einen Menschen... Sie wissen schon... jemanden, den Sie persönlich kannten...?«
Curt blickte in Rebus' Richtung, und Rebus wusste, dass der Pathologe an Conor Leary dachte.
»Dazu kann man Sie nicht zwingen«, sagte Curt zu seiner Studentin. »Falls so etwas mal passiert, kann man die Autopsie aus persönlichen Gründen ablehnen.«
»Dann sind uns solche menschlichen Regungen also gestattet?«
»Ab und zu, ja.« Wieder huschte ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht.
»Und was kann ich für Sie tun?«, fragte sie Siobhan.
»Sie wissen vermutlich bereits, dass Flip unserer Auffassung nach einem Mord zum Opfer gefallen ist.«
»Ja, das habe ich heute Morgen in den Nachrichten gehört.«
»Wir brauchen Ihre Hilfe, um uns in einigen Punkten Klarheit zu verschaffen.«
»Sie können das gerne in meinem Büro machen«, sagte Curt.
Als sie nun je zu zweit nebeneinander wieder durch den Korridor gingen, nahm Rebus Claire Benzie von hinten in Augenschein. Sie hielt die beiden Mappen vorne vor den Bauch gepresst und sprach mit Dr. Curt über das Thema der Lehrveranstaltung. Siobhan sah Rebus von der Seite an und überlegte, worüber er nachdenken mochte. Doch er schüttelte bloß den Kopf: nicht so wichtig. Allerdings fand er Claire Benzie ziemlich interessant. Obwohl sie erst kurz zuvor vom Tod ihrer Freundin erfahren hatte, war sie in eine Vorlesung gegangen, über die sie sich jetzt angeregt mit einem ihrer Dozenten unterhielt, während zwei Polizisten direkt hinter ihr hergingen.
Eine Erklärung: Verdrängung. Sie schob den Gedanken an
Flip einfach beiseite und stürzte sich in ihre Alltagsroutine.
Beschäftigte sich beinahe zwanghaft, um nicht in Tränen auszubrechen.
Eine andere Möglichkeit: Sie war die Selbstbeherrschung in Person und ließ Flips Tod erst gar nicht an sich heran.
Rebus wusste, welche Version er persönlich bevorzugte, obwohl er nicht zu sagen vermochte, ob es sich dabei auch um die zutreffende handelte.
Dr. Curt und Professor Gates hatten ein gemeinsames Sekretariat. Dorthin führte Gurt seine Besucher. Auf der Stirnseite des Zimmers befanden sich direkt nebeneinander zwei Türen: Curts und Gates' Büros. Curt öffnete eine der beiden und führte seine Gäste in sein Arbeitszimmer.
»Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen«, sagte er dann. »Machen Sie einfach die Tür hinter sich zu, wenn Sie fertig sind.«
»Danke«, sagte Rebus.
Doch nachdem er die drei hergeführt hatte, war Curt plötzlich unschlüssig, ob er seine Studentin einfach mit den beiden Polizisten allein lassen konnte.
»Alles in Ordnung, Dr. Curt«, beruhigte ihn Claire, als ob sie seine Gedanken erraten hatte. Curt nickte und entfernte sich. Ein voll gestopfter schlecht belüfteter Raum. Darin ein zum Bersten voller Bücherschrank mit
Weitere Kostenlose Bücher