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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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Regale im Badezimmer strotzten von Rasierartikeln und Importparfüms. Die Bluse und der BH , die man ihr aus Buenos Aires mitgebracht hatte, gehörten ihrer Schwester Chela und waren zu groß. Es stimmte: Sie war nicht vorzeigbar, war abgemagert, mit tiefen Augenringen und fettigem, zerzaustem Haar. Sie richtete sich her, so gut sie konnte, mehr schlecht als recht. Im Zimmer nebenan erging sich ein Unbekannter gegenüber ihrem Vater in Entschuldigungen.
    Zwei Tage hier, Doktor. Ja, das ist nicht zu entschuldigen. Fast alle im Feld, und der, der hier im Präsidium geblieben ist, ist ein Ignorant. Arbeitet zwanzig Stunden am Stück. Vor lauter Müdigkeit kann er nicht mehr Richtig und Falsch unterscheiden. Man hat die Señorita spät abends hergebracht. Kein Offizier zur Ablösung da. Wenn wir ermitteln sollen, tun wir es bis zur letzten Konsequenz, ohne Rücksicht auf Verluste.
    Sagen Sie General Bissio, ich will ihn sehen, verlangte der Vater.
    Auch der Generalgouverneur erging sich in Entschuldigungen, aber nur telefonisch. Er verfolgte die Spur einer in den Bergen verborgenen Patrouille und mochte Dr.Dupuy und seine Familie nicht in der unwirtlichen Kaserne festhalten, wo Diebe und Huren ein- und ausgingen. Er ordnete an, Señora Cardoso das Wachbuch zu zeigen, wo verzeichnet war, dass Simón um acht Uhr morgens, zwei Stunden zuvor, gegangen war.
    Der Vater gab der Tochter einen Klaps auf die Hüfte und hielt Distanz. Er war schon immer so gewesen, seit ihrer Jugend. Diese zerstreuten Zärtlichkeiten gaben Emilia das Gefühl, unrein, fehl am Platz zu sein. Sie las das Inventar der Gegenstände, die man Simón zurückgegeben hatte: eine Armbanduhr der Marke Citizen, einen Ehering, eine Packung Jockey-Club-Zigaretten, ein braunes Lederköfferchen, siebenundzwanzigtausend Pesos in Tausenderscheinen, ein Beglaubigungsschreiben, das ihn als Angestellten des Automobilklubs auswies, eine Karte im Maßstab 1 : 5000 des südlichen Teils der Provinz.
    Dr.Dupuy hatte Tickets für den Rückflug nach Buenos Aires um vier Uhr nachmittags, aber Emilia mochte nicht so rasch gehen. Sie sagte immer wieder, Simón werde sich ihnen jeden Moment zugesellen. Der Vater setzte sich ins Flughafenrestaurant, während sich die Mutter und Emilia erkundigten, ob der Mietjeep zurückgegeben worden war. Ja, wurde ihnen gesagt. Am Vorabend habe ihn ein Soldat hergefahren. Ein anderer Soldat habe Simóns Koffer aus dem Hotel mitgenommen, wo sie die einzige – kurze – gemeinsame Nacht verbracht hatten. Die Rechnung war auf mysteriöse Weise bezahlt worden, niemand konnte sich erinnern, von wem. Der Portier und die Empfangsfräulein waren andere. Man hatte den Eindruck, die Vergangenheit zöge sich spurlos zurück, als schwebte das Leben in einer dauernden Gegenwart, wo sich die Dinge ohne Ursache-Wirkung-Effekt ereigneten.
    Kurz vor dem Vier-Uhr-Flug gelangten sie am Flughafen an. Die Mutter überzeugte Emilia, dass Simón sie bestimmt schon in Buenos Aires erwarte, es könne gar nicht anders sein. Warum nimmt er dann nicht ab?, fragte Emilia, die alle fünfzehn Minuten in San Telmo anrief. Sicherlich fährt er im Bus zurück, antwortete die Mutter. Die Fahrt dauert zwanzig Stunden, und er wird morgen früh ankommen. Ohne eine Nachricht für mich zu hinterlassen, ohne sich nach mir zu erkundigen? Das ist nicht er, sagte Emilia. Die Angst verändert die Menschen, mein Kind, bemerkte der Vater. Wenn er Angst hat, flüchtet er jetzt vor allem, sogar vor sich selbst. Beim Einsteigen bemerkte Emilia, dass es kein viertes Ticket gab. Sie hielt es für besser, nichts zu sagen, und so verbrachte sie die beiden Flugstunden mit dem Betrachten der Wolken durchs Fenster.
    Jahre später, als Simón noch immer nicht aufgetaucht war, las sie in der Zeitschrift
Gente
, den argentinischen Ehemännern sei es eigen, ohne jede Erklärung plötzlich auf und davon zu gehen. Sie leiden unter dem Wakefield-Syndrom, erklärte ein Psychoanalytiker in Anspielung auf die Erzählung von Nathaniel Hawthorne, in der ein guter Mann aus London eines Tages einfach so seine Frau verlässt und in ein Haus im nächsten Block umzieht, von wo aus er bis ins Alter das Familienleben beobachtet. Emilia war immer klar, dass Simón nicht zu denen gehörte. Er würde zurückkommen, sobald er könnte.
    In diesen Zeiten verschwanden die Leute zu Tausenden ohne offensichtlichen Grund. Es verschwanden Botschafter, Geliebte von Hauptleuten und Admiralen, Inhaber von Firmen, nach denen die

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