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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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ließ ganze Tage vergehen, ohne zu baden, sich zu schminken oder auch nur in den Spiegel zu schauen. Sie stillte noch immer, und ihre üppigen Brüste quollen aus dem Nachthemd. Sie war drei Jahre jünger als Emilia, sah aber bereits älter aus. Sogar weiße Haare zeigten sich, die sie zu färben vergaß. Als ihre Verbitterung den Höhepunkt erreichte, erzählte sie Emilia, sie warte nächtelang mit dem Baby in den Armen auf ihren Mann, während er, unterjocht von der Rechenmaschine, nach der Geige von Telefonen und Fernschreibern tanzte.
    Sie sagte: Am Sonntag geh ich mit ihm zur Messe, und er saust aus der Kirche, um sich über den Dollarkurs auf den japanischen Märkten zu informieren, ich spaziere mit dem durchsichtigen Babydoll vor ihm auf und ab, das ich wegen der Schwangerschaft nicht habe tragen können – und hältst du es für möglich? Er schläft ein! Er hört nicht einmal das Geplärr des Babys, er bumst nicht mit mir, und ich glaube nicht, dass er eine heimliche Affäre hat, denn auch dafür hat er keine Zeit.
    Die kleine Bank, die Marcelo Echarri gekauft hatte, wuchs in wenigen Monaten mit der Übernahme landwirtschaftlicher Genossenschaften, leerer Fabriken und Aktien von Firmen, die nur in ihren Briefköpfen überlebten – sie waren ein Prunkfriedhof voller Leichen, die keiner wollte. Das Echarri-Imperium (so nannten es die Zeitschriften) erhob sich wie die glücklichen Kulissen, die Fürst Potemkin, wenn die Zarin vorbeireiste, aufzubauen pflegte und die wieder verschwanden, kaum war ihre Karosse außer Sicht.
    Alles geschah viel zu schnell. Sein Reichtum war enorm, aber nur auf dem Papier. Um der Katastrophe zu entkommen, musste er einen kühnen Schritt tun. Er suchte kurzfristige Anleger, die bereit waren, ihr bescheidenes Vermögen Banken anzuvertrauen, die höhere Zinsen verhießen, und die seinen waren die höchsten. Es kam der unausbleibliche Moment, da er sie nicht mehr bezahlen konnte. Je mehr Einlagen er erhielt, desto mehr geriet er in die Bredouille. Der Bankrott saß ihm im Nacken, aber er war nicht bereit, klein beizugeben. Noch nie war er gescheitert, und es gab keinen Grund, es jetzt zu tun. Nach einer durchwachten Nacht ersann er eine Lösung, die ihm von der Vorsehung geschickt schien. Statt die geforderten monströsen Zinsen auszuzahlen, investierten seine Strohmänner die Reserven in Banken, welche behutsamer Dividenden zahlten. In einem Unternehmen in Philadelphia, der Stadt seiner glücklichen Studentenjahre, hatte er zwei oder drei Millionen fest angelegt, doch um nichts in der Welt gedachte er sie anzurühren. Diese Ersparnisse waren der Schutzengel, der ihn in Zukunft behüten würde. Die Zukunft zog sich mit hoher Geschwindigkeit zurück, und anstatt sich der Gegenwart anzunähern, wie der Metaphysiker Bradley angenommen hatte, war sie am Verschwinden. Welchen Horizont Marcelo auch immer prüfte, es war keine Zukunft zu erblicken. Sie war ausgetrocknet, genau wie das Geld.
    Die Angst raubte ihm den Schlaf. Du kannst jeden Moment einen Infarkt kriegen, warum sprichst du nicht mit Papa, sagte Chela.
    Nein, dein Vater hat mich mit einem Rat abgefertigt. Er hat gesagt: Du musst vorgehen wie beim Schach, Marcelo. Vor dem Angriff musst du dir überlegen, wie du dich verteidigen wirst. Niemand wird sich auf deinen Stuhl setzen, um die Partie zu übernehmen. Das hatte er getan, und er brach immer mehr ein. Er kaufte eine zweite Bank, die kurz vor dem Schiffbruch stand, und eröffnete in den Provinzen Filialen, um frische Einlagen anzulocken. In jede Halle ließ er ein lateinisches Motto gravieren, das die Angestellten den Besuchern übersetzten:
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, Handle redlich und fürchte nichts. In den ersten Wochen lief es gut. Die Kunden vertrauten ihm ihre Ersparnisse an, denn das Wort
Bank
flößte ihnen Vertrauen ein. Aber wenn sie wiederkamen, um ihre Gelder abzuheben, standen sie vor verschlossenen Türen oder wurden von den Aufsehern mit unglaubwürdigen Versprechungen abgefertigt: Wir erwarten jeden Moment von einer anderen Filiale das Bargeld, morgen um neun wird alles geregelt sein, gehen Sie ruhig nach Hause, achten Sie nicht auf das Gerede, hier sind die Einlagen sicherer als beim Papst in Rom. Das klang sarkastisch, denn in diesen Tagen lag der Papst in Rom im Sterben, und selbst die Einlagen auf der Vatikanbank verloren sich im Chaos.
    Marcelo hatte mehr als genug Phantasie, aber es fehlte ihm an Mitteln, sie einzusetzen. Es ging ihm der Gedanke durch den

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