Purgatorio
bevorstehenden Zusammenbruchs zu übertünchen. Zu Beginn dieses Jahres spüren die Militärs, dass das Land ihren Händen entgleitet, und schlagen wild um sich wie ein Schiffbrüchiger: Sie fallen auf den rauen Falklandinseln ein, mit Soldaten aus den nordöstlichen Tropen, wo man nicht weiß, was Kälte ist. Die Regierenden sind jetzt andere, Nachfolger des Aals und des Admirals, doch der Horizont ihrer Gedanken ist dieselbe weiße Linie des Nichts. Die britische Flotte bewegt sich auf der anderen Seite des Ozeans, und niemand rechnet damit, dass sie sich die Mühe nimmt, diese Scheißfelsen zu verteidigen, auf denen es nur Kormorane und Wind gibt, Wind und zweitausendzweihundert Untergebene der Königin, melancholische Pinguine und Wind. Entgegen allen Erwartungen reagieren die Engländer, und Dupuy rechnet mit einer unvermeidlichen Niederlage, eine Frage von acht bis zehn Wochen. Aber er will, dass sich diese Kommandanten am Großmast des Staates festhalten, bis sich der Sturm gelegt hat. Sie sollen ausharren, doch wie? Sie sind so linkisch wie die anderen, so blind allem gegenüber, was nicht weiß und rot und gelb ist. Diese Obertrottel stehlen weiterhin Kinder aus den Krankenhäusern, entreißen Neugeborene schlichtweg dem Bauch der Gebärenden. Immer noch wimmelt es von Leichtgläubigen, die nur das glückliche, freie, siegreiche Land sehen, als das es die gehorsamen Medien darstellen. Sprecht von unseren erdrückenden Siegen zur See und in der Luft, weist Dupuy sie an. Bringt Fotos von erbarmungslosen, perversen englischen Soldaten. Setzt der Thatcher Draculazähne ein. Macht Schlagzeilen wie »Wir stehen kurz vor dem Sieg!«. Die Leute feiern den Sieg der Gottesarmeen und gehen mit Stirnbändern und Fahnen auf die Straße, wie bei der 78 er- WM . Unsere Angriffe sind tödlich, echoen die Zeitungen. Die Thatcher, sagen sie, ist konsterniert. In den spanischen Rundfunksendern intoniert Professor Addolorato Klagelieder, die Dupuy in
La República
wiederzugeben sich genötigt sieht: »Mein armes Land kämpft auf ungleiche Weise gegen die drittstärkste Macht dieses Planeten, die auch noch unterstützt wird vom amerikanischen Imperium. Das kämpfende Argentinien ist nicht das, was ihr, da ihr im Irrtum und schlecht informiert seid, als Militärdiktatur bezeichnet. Nein. Es ist das ganze Argentinien: seine Frauen, seine Kinder, seine Greise.« Welch beredter Opportunist, muss Dupuy zugeben. Die Engländer lassen die Nachricht durchsickern, die argentinischen Soldaten fielen widerstandslos an der Front, nicht aus Heldenmut oder im feindlichen Schrapnell, sondern weil sie erfrieren. Sie haben nur noch wenig Munition, die Lebensmittelkonserven sind ihnen ausgegangen. Dupuy verkündet, er werde einen gigantischen Solidaritätskreuzzug starten. Im Eingang des Fernsehsenders, der die Weltmeisterschaft übertragen hat, werden die bedeutendsten Künstler des Landes Schenkungen entgegennehmen, Schmuck, Geld, Schokolade, was man eben geben kann, es gilt, den Patriotismus in Uneigennützigkeit und, vor allem, in Lobeshymnen auf die Kommandanten umzumünzen. Noch immer inspirieren ihn Orson Welles’ Zauberlektionen. Was für ein Hurensohn, dieser Welles, denkt er voller Bewunderung und Groll. Seinetwegen hat er vor dem Aal und dem Admiral sehr alt ausgesehen. Kurz nach Ablehnung seines Angebots, den Dokumentarfilm zu drehen, der ihn mit Ruhm überhäuft hätte, verspottet er Argentinien und tritt im
Muppet Movie
auf, einem lächerlichen Streifen für geistig zurückgebliebene Kinder. Dupuy sieht, dass er seinen Lebensunterhalt verdient, indem er zu seiner clownesken Vergangenheit zurückkehrt. Was er ihm nicht verzeiht: dass er in
Völkermord
das große Wort führte, einem faden Dokumentarfilm über die Konzentrationslager der Nazis, in denen beiläufig auch auf die argentinischen Gefängnisse angespielt wird. Der soll es bloß wagen, Buenos Aires zu betreten.
Die vierundzwanzig Stunden Solidarität sind ein Erfolg, der seine Berechnungen noch übertrifft. Punkt sechs Uhr abends werden sämtliche TV -Apparate des Landes eingeschaltet, und selbst die Patienten in den Krankenhäusern singen die Nationalhymne. Die große Libertad Lamarque weint beim Vortrag des Gedichts
Das verlorene Schwesterchen
. Die Revuestars und Komiker kommen von ihren Podesten herunter und verkaufen Blumen auf der Straße. Dem Eingang des Senders nähern sich alte Frauen, die seit Tagen nicht geschlafen haben, weil sie Halstücher, Mäntel und
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