Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Karawane muss man schneller als die Sonne sein«, wandte sich Sheïk Amir noch vor Tagesanbruch an Miguel und Cornelisz. » Während der Mittagshitze werden wir rasten und erst in der Abenddämmerung weiterziehen. So ist seit altersher der Rhythmus der Karawanen.«
Mit der Ruhe im Lager war es endgültig vorbei, als die Kamele beladen wurden. Sie bockten und brüllten, wanden die langen Hälse und versuchten, nach den Treibern zu schnappen. Die jedoch ließen sich nicht beirren. Sie packten ein Bündel und einen Sack nach dem anderen, stemmten sie gegen die Seiten der Tiere und zurrten die Ladung mit Seilen fest. Dabei sangen sie einfache Lieder, die die Kamele beruhigen sollten. Erst wenn die Ladung sicher an den Kamelen verschnürt war, erhoben sich die Tiere und wurden eines hinter dem anderen aneinandergebunden.
Zwei Männer in langen Gewändern und gewickelten Turbanen standen vor Cornelisz. Sie hielten einen Kittel in Händen, gestikulierten, deuteten erst auf sein Bein, dann auf den Kopf, und redeten beide gleichzeitig auf ihn ein.
» Was wollen die von mir?«, fragte Cornelisz. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, und die Schrammen und Hautabschürfungen traten in seinem blassen Gesicht deutlich hervor.
» Vielleicht wollen sie, dass du dich anständig kleidest? Und dann werden sie dich zu einem Kamel bringen.«
» Ich, und reiten? Mit dem Bein?«
» Stell dich nicht an. Ich bin jedenfalls froh, wenn ich dich nicht mehr wie ein Esel auf meinem Rücken schleppen muss. Ein Spatz bist du nämlich nicht gerade.«
Sofort schoss Cornelisz die Röte ins Gesicht, und er stotterte eine Entschuldigung.
» Na, so war das doch nicht gemeint«, wehrte Miguel ab. Dann half er Cornelisz, das lange Gewand über den Kopf zu streifen. Er trat einen Schritt zurück, begutachtete Cornelisz und grinste.
Ein finsterer Blick traf ihn. » Sag’s nicht!«, forderte Cornelisz ihn auf. » Ich weiß selbst, dass ich mit diesem Kittel wie eine Magd im Hemd aussehe!«
» Etwas zu knochig für meinen Geschmack«, feixte Miguel, » aber ansonsten: bonita garota, ein recht hübsches Mädchen!«
Die Männer trugen Cornelisz auf ihren verschränkten Unterarmen zu einem Kamel, wo sie ihn in einen Tragesitz an der Seite des Tieres bugsierten. Als Gegengewicht dienten an der gegenüberliegenden Flanke Säcke. Das Kamel wandte den schlangengleichen Hals. Es schien seinen Passagier voll Hochmut zu betrachten, während die Kiefer gelangweilt mahlten. Cornelisz klammerte sich an die Seile des Sitzes. Hilflos und unglücklich, behindert durch sein geschientes Bein und zerschunden von Beulen und Verletzungen hing er am Bauch des Tieres und schaukelte im Takt der Kamelschritte.
» Du bist sicher nicht der Erste, den sie auf diese Weise transportieren,« beruhigte ihn Miguel. Unauffällig kontrollierte er den Sitz des Goldschatzes an seinem Bauch und freute sich, dass das dicke Hemd den Kampf mit Wellen und Felsen nahezu unversehrt überstanden hatte. Es würde auch sein gut getarntes » Strandgut« noch eine Weile schützen.
Cornelisz krallte sich an den Seilen fest und biss die Zähne zusammen. Er fühlte sich erbärmlich. Sein Vater war tot. Vater war tot? Das war unmöglich!
Unter all den Latten und Stricken, mit denen es geschient war, schien sein Bein auf den doppelten Umfang angeschwollen zu sein. Es schmerzte und pochte ebenso wie der Kopf. Miguel trabte neben ihm durch den Sand. Was wäre wohl ohne den Portugiesen aus ihm geworden? Er wäre gewiss ebenfalls tot. Aus eigener Kraft hätte er es niemals bis zur Wasserstelle geschafft und wäre daher auch nie auf die Karawane getroffen … Dieser Mann, bis vor wenigen Stunden noch ein weitgehend Unbekannter, hatte ihn gerettet. Was er wohl für ein Mensch war? Er mochte Anfang dreißig sein, ein kräftiger, muskulöser Mann, der bereits einen kleinen Bauch hatte. Außerdem rutschte ihm dieser lächerliche Turban immer wieder über die Augen, so dass er nichts sehen konnte. Miguel lachte nur darüber. Er schien gern zu lachen.
Auch sein eigener Kopfwickel – Turban konnte man dazu wirklich nicht sagen! – verschob sich ständig. Allerdings benötigten sie diese Kopfbedeckungen dringend. Die Sonne brannte schon jetzt, am frühen Morgen, auf sie herunter, und das grelle Licht verschlimmerte sein Kopfweh. Drei sandfarbene Wachhunde umkreisten derweil die Karawane, und die Treiber gingen in gleichmäßigem Schritt neben den Tieren. Sie hielten die Karawane zusammen und sangen beim
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