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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Bündel hervor, legte die Hände auf das weiche Leder, das über die Jahre dunkel und fleckig geworden war, und betastete die Seidenkordel, mit der es verschnürt war. Es fühlte sich an wie ein kleines Buch, war biegsam, aber zugleich fest. Erst als Braut sollte sie es lesen oder wenn sie in Not geriet, so lautete die Botschaft. Warum die Mutter das wohl verfügt hatte? Musste sie diese Bestimmung wörtlich nehmen, oder hatte sie vielleicht gemeint, sie solle die Aufzeichnungen erst als Erwachsene kennenlernen?
    Plötzlich fuhr ein ziehender Schmerz durch ihren Leib. Mirijam krümmte sich. In letzter Zeit hatte sie mehrfach Bauchweh gehabt, ob sie doch einmal mit dem Abu darüber sprechen sollte?
    Als die Schmerzen nachließen und Mirijam aufstand, um den Heimweg anzutreten, entdeckte sie einen Blutfleck auf dem Stein, auf dem sie gesessen hatte. Der Anblick traf sie wie ein Schlag. Blut? Also doch, sie war ernsthaft erkrankt! Allerdings spürte sie außer einem Druck im Bauch keinerlei Schmerzen. Gründlich befühlte sie Arme, Brust und Beine, tastete den Rücken ab, so weit sie reichen konnte, doch nirgendwo konnte sie eine Wunde entdecken. Woher kam dann das Blut?
    Erst als sie sich vorbeugte, entdeckte sie die dünne Blutspur, die an der Innenseite ihrer Beine hinablief bis zu den Knöcheln. Ängstlich hob sie ihr Kleid. Das Blut schien aus dem Körperinneren zu kommen! Sie wimmerte und sank auf den Stein zurück.
    Als seien sie lediglich unter einem dünnen Schleier verborgen gewesen, brachen die Schrecken des Kerkers plötzlich aus ihrer Erinnerung hervor. Da waren sie wieder, die Schläge, die Fesseln, die Schreie, die quälende Todesangst! Auch die Schmerzen, als sie aufgerissen wurde und es ihr wie ein Schwert mitten durch den Leib fuhr und als verzweifelte Hilfeschreie aus ihr herausbrachen, wieder und wieder und wieder, so lange, bis ihre Stimme starb … Und dann das Blut …
    Sie war also doch verflucht! In ihrem tiefsten Inneren hatte sie es bereits geahnt: Jemand, dem so etwas Entsetzliches zugestoßen war wie ihr damals im bagno, der konnte nur verdammt sein! Jene furchtbaren Qualen, der Verlust ihrer Stimme, was konnte das anderes bedeuten als Strafe und Fluch? Und nun, nach zweijähriger Ruhe, begann der Schrecken erneut mit Blut, das aus ihr herausfloss. Musste sie jetzt sterben? Etwas nicht Fassbares, Großes, Böses, etwas wie eine dunkle Macht hatte sie in der Hand und wollte sie bestrafen. Warum? Welche Schuld hatte sie auf sich geladen? Sie wusste keine Antwort, zugleich aber hatte sie den Beweis: Sie war verflucht, denn sie blutete von dort …
    » Nein, nicht!«, jammerte sie und schöpfte mit beiden Händen Wasser über die Beine. Reinigen. Wegspülen. Reinwaschen. Sie rieb und wischte, schluchzte und zitterte. Höher hinauf, den ganzen Schenkel, mehr Wasser, viel mehr! Ihre Hände flogen. Mehr Wasser, mehr, noch viel mehr …
    » Salâm u aleikum, Mädchen. Bist du nicht Azîza?«
    Mirijam erstarrte. Hastig ließ sie das geschürzte Gewand fallen. Eine schwarze Frau stand am Flussufer. Sie führte eine Ziege am Strick und trug einen Weidenkorb voll Kräuter.
    Mit einem Ärmel wischte Mirijam die zerzausten Haare aus dem Gesicht, mit dem anderen fuhr sie über ihre tränennassen Wangen. Sie schluckte, dann nickte sie. » Aleikum as salâm. Ja, ich bin Azîza, die Tochter von Alî el-Mansour. Bist du gesund? Geht es deiner Familie gut?« Ihre Stimme zitterte; während sie versuchte, ihr Grauen zu bändigen. Dennoch kamen ihr wie von selbst die üblichen Höflichkeitsfloskeln über die Lippen. Sie strich das Kleid glatt. Was hatte die Frau gesehen? Hatte sie vielleicht sogar ihr Schreien gehört?
    » Es geht mir gut. Ich bin Aisha, und ich lebe dort drüben.« Mit der freien Hand wedelte sie in eine unbestimmte Richtung. » Ich bin die weise Frau und helfe den Frauen, deshalb die Kräuter hier im Korb. Höre, Mädchen, du musst dich nicht fürchten, verstehst du? Ja, es wird Veränderungen für dich geben, sie sind jedoch kein Grund, sich zu ängstigen.« Damit band sie die Ziege an einen Busch und kam zu Mirijam ins Wasser.
    » Komm, setzen wir uns dort ans Ufer.« Sie führte die nahezu Willenlose aus dem Bach heraus. » Du zitterst. Sei ganz ruhig. Ist es das erste Mal, dass du blutest?«
    Mirijam schlug die Augen nieder. Sie fühlte, wie ihr Gesicht brannte. Warum fragte die Frau das? Was wusste sie, und woher? Sie rieb die Hände, als seien sie schmutzig. Schließlich nahm sie ihren Mut

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