Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
fällt dir ein?«, fauchte sie empört. Kein Fremder durfte es wagen, unaufgefordert das Haus zu betreten, schon gar nicht die Küche, den ureigensten Bereich der Frauen.
Der Mann senkte den Blick, legte die Rechte auf sein Herz und verneigte sich. » Ich bitte mein Eindringen zu entschuldigen, doch dafür gibt es äußerst ernsthafte Gründe. Wohnt hier der Hakim Alî el-Mansour?«
» Wer will das wissen?« So würdig wie möglich saß Mirijam auf dem lächerlich niedrigen Küchenschemel und funkelte den Fremden an.
» Mein Name tut nichts zur Sache, du wirst ihn sowieso nicht kennen, denn ich komme von weither. Melde deinem Herrn und deiner Herrin, Lâlla Azîza – falls sie tatsächlich hier wohnen, wie man mir gesagt hat –, melde ihnen also, dass ich im Auftrag von Kapitän de Alvaréz komme und sie beide dringend sprechen muss. Und mach schnell, es eilt!«
Etwas Fremdes, das ihr gleichzeitig vertraut schien wie ein Echo von weither, streifte Mirijam. Sie konnte die Augen nicht von dem Mann lösen. Der Fremde starrte auf sie herunter. Rasch senkte sie ihren Blick. Wenn sie ihn weiterhin ansah, könnte sie keinen klaren Gedanken fassen.
» Verstehst du nicht, was ich sage? Geh sogleich zu deiner Herrin«, drängte der Mann.
Vielleicht war dies der Bote, von dem Miguel geschrieben hatte? Aber würde er ihr tatsächlich einen Beduinen schicken? Einen Seemann, das ja, vielleicht auch einen Händler oder Offizier, aber doch keinen Beduinen. Oder war dieser Rüpel etwa gar kein Beduine? Sein respektloses Benehmen entsprach in keiner Weise dem der hiesigen Männer, war er also womöglich ein feindlicher Spion, einer der Sa’adier? Unauffällig warf sie dem Fremden erneut einen raschen Blick zu.
» Bist du etwa selbst …?«
» Ich will zuerst wissen, wer du bist!«
Sie hatten beide gleichzeitig gesprochen. Der Beduine kniff die Augen zusammen. Dann hob er langsam die Hand und entfernte das Tuch vor seinem Gesicht, wobei er Mirijam nicht aus den Augen ließ. Sodann wickelte er den chêche vollständig vom Kopf. Goldene Locken fielen ihm auf die Schultern und umrahmten ein Gesicht, das niemals zu einem Beduinen, einem Mann der Wüste gehören konnte. Er lächelte.
Unwillkürlich erhob sich Mirijam. Ihr langes Gewand fiel über die beiden Wassereimer, in denen noch immer ihre schmerzenden Füße standen. Wie versteinert starrte Mirijam dem Fremden ins Angesicht.
Schon beim ersten Blick auf diese Locken hatte sie verstanden. Ein Traum war wahr geworden.
» Cornelisz?«, flüsterte sie, und einen Augenblick lang wunderte sie sich, dass ihre Stimme ihr tatsächlich gehorchte.
62
In diesem Moment tauchten in Cornelisz’ Rücken zwei dunkle Gestalten auf, Schatten, die sich in gebückter Haltung anschlichen. Mit Knüppeln in den Händen kamen sie dem Eindringling näher.
» Beinahe hätte ich dich nicht wiedererkannt! Nicht zu glauben, das kleine Mädchen von früher ist eine Frau geworden!« Cornelisz strahlte und streckte Mirijam beide Hände entgegen. » Wie schön, dass wir uns endlich wiedersehen. Als Miguel sagte, dass du hier lebst, nur eine gute Tagesreise von Santa Cruz entfernt, wollte ich ihm zuerst nicht glauben!«
Seine Worte durchdrangen kaum den dichten Nebel in ihrem Kopf, und doch hätte sie ihm ewig zuhören können. Diese Stimme … Aus den Tiefen der Erinnerung quollen die Worte einer fast vergessenen Sprache, ihrer Muttersprache, hervor. Sie hüllten sie in tröstliche Wärme ein.
» Wir haben uns so viel zu erzählen, aber das muss noch warten«, rief der junge Mann. » Ich wäre schon früher gekommen, doch es gab so viel … Jedenfalls bin ich hier, um dich zu warnen. Ihr seid in Gefahr und müsst fliehen, am besten noch heute Nacht! Hörst du, was ich sage?«
Hocine und Hassan, die schattenhaften Beschützer, hatten sich inzwischen nahe herangeschlichen. Sie hoben ihre Knüppel. Endlich löste sich Mirijam aus ihrer Erstarrung.
» Nein! Hocine und Hassan, nicht!«, rief sie. » Dieser Beduine wird mir nichts tun. Er kommt in guter Absicht.«
Cornelisz fuhr herum. Er hatte die beiden Männer nicht bemerkt. Langsam hob er nun die geöffneten Hände. Er war unbewaffnet. Dazu sprach er die traditionelle Grußformel: » As salâm u aleikum.«
Hassan warf Mirijam einen Blick zu. Als sie beruhigend nickte, senkte er seine Waffe. » Wa aleikum as salâm«, antwortete der Vorarbeiter zögernd. Noch einmal vergewisserten sich die Männer, dass ihrer Herrin keine Gefahr drohte, dann
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