Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
und Kugeln gefunden. Die Bevölkerung der Stadt ist gespalten, ebenso die der Umgebung, da sich einige Sheïks der Region den Osmanen zugewandt haben. So sieht es vom Tal des Oued Ziz bis zum Oued Draá aus. Wie der Pilz, der in die Palmen kriecht und sie von innen heraus tötet, so breitet sich dieser Verrat aus. Krieg droht.«
Der Sultan nickte, es schien, als sei er über diese Nachrichten nicht sonderlich überrascht. Tat er die Meldung mit einem Achselzucken ab? War er vielleicht zu alt, um sich mit Entwicklungen wie diesen zu befassen? Das konnte Saïd nicht glauben. Er breitete die Arme aus und wandte sich an alle im Raum.
» Seit alters her verlassen sich die Sheïks unserer Region darauf, dass der amghar von Sijilmassa nicht nur in politischen Fragen den Überblick behält, sondern dass sein wichtigster Antrieb das Wohl seiner Leute ist. Ja, ich spreche hier von meinem Bruder, und ja, in diesem Zusammenhang spreche ich von Verrat, auch wenn es mich schmerzt. Ausgerechnet sie, diese gutgläubigen Menschen, die ihm vertrauen, hat der derzeitige amghar verraten, ausgerechnet sie treibt er in einen Krieg zwischen Nachbarn, Freunden, Brüdern. Und unter das Diktat eines fernen Herrschers, unter Vorschriften und Auflagen, die dessen Reich nützen, nicht aber uns freien Masiren.«
Er wandte sich wieder dem Sultan zu. Seine Hände waren wie zum Gebet geöffnet. » Lass uns nicht im Stich. Gib mir Soldaten, Sultan Muhammad, damit wir nicht zu Knechten der Osmanen verkommen. Sie wollen nicht nur unsere Schafe und Oasenfrüchte, sie gieren nach unseren Karawanen und nach deren Schätzen, nach dem Gold der Sahara und dem Handel mit den Reichen jenseits des Mittelmeeres. Eine osmanische Besatzung würde uns innerhalb kurzer Zeit ausbluten, und auch dein Einfluss ginge verloren.«
Er sah, wie die Tinte unter der Feder des Schreibers spritzte und kleckste, und bemühte sich, langsam zu sprechen und seine Ruhe wiederzufinden. » Wir sehen nur einen Weg: Gib mir Soldaten, damit wir sie vertreiben können.«
Der Sultan tauschte einen ernsten Blick mit seinem Sohn. Dann nickte er Saïd zu: » Ich danke dir, Sheïk Saïd. Wir haben deine Klage vernommen, und wir werden darüber beraten. Es ist ein glücklicher Umstand, dass meine wichtigsten Berater heute anwesend sind. Wir können also gleich mit der Besprechung beginnen. Warte einstweilen draußen. Und auch Euch, verehrter Kapitän, bitte ich, uns eine Weile allein zu lassen, Ihr habt ja gehört, worum es hier geht. Anders als Eure Suche duldet diese Angelegenheit keinen Aufschub.« Der Angesprochene erhob sich und verließ an Saïds Seite den Audienzsaal.
Der als Kapitän bezeichnete Besucher hielt sich das Bein. » Que diabos«, fluchte er, » mir sind die Beine eingeschlafen, maldito! Dieses elende Auf-dem-Boden-Hocken bringt mich noch um.«
» Ich helfe Euch.« Saïd stützte den Mann und führte ihn die Treppe hinunter. Draußen geleitete er ihn zu einer gemauerten Bank im Schatten der Palmen. Der Kapitän setzte sich und massierte seine Beine.
» Habt Dank, junger Mann, meine alten Knochen sind dieses Bodenleben einfach nicht gewohnt, zudem habe ich da eine Wunde … Aber egal. Was Ihr dem Sultan eben vorgetragen habt, das klingt nach einem üblen Schlamassel! Und Euer Bruder hat das angerichtet? Ach, mit Familie ist das oft so eine Sache!«
Saïd nickte stumm und wandte sich ab. Nach einem Gespräch mit diesem Fremden stand ihm jetzt wahrhaftig nicht der Sinn. Warum hatte der Sultan auf seine Darlegungen so zurückhaltend reagiert, hatte er die Dringlichkeit der Lage etwa nicht genügend betont? Merkwürdig, aber nicht nur der Sultan und sein Sohn, auch die Berater hatten beinahe unbeteiligt gewirkt, als seien seine Schilderungen nichts Neues oder als hätten sie das Tafilalt bereits aufgegeben. Das aber durfte nicht geschehen, niemals!
Was würde Brahim an seiner Stelle tun? Hätte er, um Blutvergießen zu vermeiden, wirklich eine osmanische Fremdherrschaft hingenommen? Im selben Moment, da ihm diese Überlegung durch den Kopf schoss, erkannte er, wie abwegig sie war und wie wenig hilfreich. Brahim hatte nie vor vergleichbaren Problemen gestanden, zu seiner Zeit gab es weder eine Familienfehde noch einen Riss in der Bevölkerung. An seinem Vorbild konnte er sich also nicht orientieren. Es lag allein an ihm, Unheil von Sijilmassa abzuwenden.
Wie viele Soldaten würde ihm Sultan Muhammad geben? Der Palast quoll über vor Kämpfern, das hatte er mit eigenen
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