Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
unverzüglich die Wasserversorgung zu überprüfen, und zwar sowohl die Schöpfräder und offenen Kanäle, die vom Fluss abzweigten, wie auch die unterirdischen, die das Wasser aus den Bergen heranführten. Besonders diese beanspruchten regelmäßige Wartung, damit sie nicht verfielen. Hier nun hatten Arbeiter den einstmals mächtigen Imam aus dem Boden gezogen.
Saïd musterte den Mann, der so lange die Fäden in der Hand gehalten, der Hussein verführt und geleitet, der Malika in ihrem Hass bestärkt und für seine eigenen Zwecke missbraucht hatte. Über Monate hatte er die beiden beeinflusst, hatte ihnen Zerrbilder eines zukünftigen märchenhaften Einflusses am Sultanshof ausgemalt und ihnen eingeredet, jedes Mittel, das zur Erreichung ihrer Ziele führte, sei rechtens. Sogar die Ermordung einer Frau.
Saïd wandte den Blick ab. Es quälte ihn, über diesen Mann richten zu müssen. Nach seiner Vorstellung sollte ein Richter unbefangen urteilen, das jedoch konnte er nicht. Wenn er an Brahims Söhne dachte, die man als Geiseln verschleppt und die gemeinsam mit ihren Schwestern zumindest mittelbar durch die Schuld dieses Mannes ihre Mutter verloren hatten, brodelte es in ihm. Wie sollte ausgerechnet er zu einem gerechten Urteil fähig sein?
Abu Youssef, der jüdische Geldverleiher und Händler, der ihm treu zur Seite stand, hatte von Blutschuld gesprochen und davon, dass seit uralten Zeiten Blut nur mit Blut geahndet werden konnte. Jeder im Raum wusste dies, dennoch wäre es Saïd lieber gewesen, das Wort » Blutschuld« wäre nicht gefallen.
Der osmanische Imam suchte nach einer weniger schmerzhaften Position. Man hatte ihm gestattet, sich zu waschen, hatte ihm zu essen und zu trinken gebracht und sein Bein verbunden, bevor man ihn gefesselt zu Füßen des amghar niedergeworfen hatte. Er beobachtete den jungen Sheïk , dessen Skrupel er zu spüren schien. » Berücksichtigt meine Lage, Sheïk Saïd«, wagte er sich schließlich vor. Seine Stimme klang nicht etwa bittend, sondern selbstbewusst, wenn nicht gar belehrend. » Wer an verantwortlicher Stelle im Dienst des osmanischen Sultans steht, und befindet er sich auch weit entfernt von Konstantinopel am anderen Ende des Reiches, ist zugleich immer auch dem großen Ganzen verpflichtet. Für ihn gibt es nur eine Richtung: die zu dem vorgegebenen Ziel. Widerstände müssen dabei überwunden werden, und zwar um jeden Preis. Sonst ist er seine Stellung nicht wert.«
Als erfahrener Schreiber erkannte der alte Amron, dass sich dieser wortgewandte Mann soeben daranmachte, Saïds Bedenken für sich zu nutzen. Er hob seine Hand und hieß den Mann zu schweigen. Dann wandte er sich an den jungen amghar.
» Unser geachteter Freund Abderrahman erinnerte uns kürzlich zu Recht an deine Vorfahren, verehrter Sheïk Saïd. In der Vergangenheit liegt Weisheit. Dein Großvater, der sa’adische Löwe, und ebenso dein Vater, der unvergessene Freiheitskämpfer, sie beide haben sich bei bedeutenden Fragen wie denen von Leben oder Tod stets an den Sultan gewandt. Dieser Mann dort«, er deutete anklagend auf den Imam am Boden, » handelte im Auftrag des osmanischen Sultans, wie er sagte, doch er soll nicht glauben, wir hätten sein schlechtes Herz und seine Tücke nicht durchschaut. Jetzt versucht er, dir gegenüber seine schändlichen Taten mit dem ›großen Ganzen‹ der Osmanen zu rechtfertigen. Mein Rat lautet daher: Nehmen wir sein ›großes Ganzes‹ als Anregung und überstellen ihn der Gerichtsbarkeit unseres Sultans. Sultan Muhammad ist nicht nur weise, für ihn gibt es zudem nichts Wichtigeres als das große Ganze der Masiren.«
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San Pietro e Paolo
Der Bug der San Pietro wies auf das offene Meer, und ein letztes Mal blickte Kapitän Eusebio Pacelli hinüber nach Wahran. Im Hafen lagen die drei Genueser Karavellen, gute und vor allem gut ausgerüstete Schiffe. Zwischen ihnen und den Lagerschuppen an Land gingen Boote hin und her.
Gestern, während er bei den Hafenbehörden seine bevorstehende Abreise meldete, hatte er den Befehlshaber des genuesischen Konvois, Kapitän Perasso von der San Giorgio, kennengelernt. Sie müssten Wasser und Lebensmittel an Bord nehmen, hatte der Mann gesagt, dann würden sie weiter nach Westen segeln, die afrikanische Küste entlang, angeblich sogar bis nach Santa Cruz.
Als sich einige Zweifler unter den Umstehenden bemerkbar machten, hatte Kapitän Perasso mit seinen guten Beziehungen zu den Korsaren regelrecht geprahlt. Er behauptete,
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