Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Gegenteil. Stets hatte er die Anker voller Vorfreude auf Venedig einholen lassen, hatte Heimatkurs befohlen und war rasch losgesegelt. Dieses Mal aber, da er Sarah und ihre bambina allein in der fremden marokkanischen Stadt wusste, fiel ihm das schwer.
» Giulio, bring mir Wein!« Pacelli setzte sich an seinen Kartentisch und griff nach den Büchern. Der alte Diener sah ihn prüfend an, dann servierte er ein Glas vom Roten. Er überlegte, und nach einem erneuten Blick auf den Kapitän stellte er die Flasche auf den Tisch.
» Na, alter Gauner, bist du froh, dass es nach Hause geht?«, fragte Pacelli und nahm einen großen Schluck.
Giulio zuckte mit den Schultern und drehte sich um. Nach wenigen Schritten jedoch hielt er inne und knurrte etwas vor sich hin.
» Was? Rede lauter!«
» Das Haus wird leer sein, sagte ich!«
Pacelli nickte. Das Gleiche ging ihm ebenfalls durch den Kopf. Wie Giulio hatte auch er sich schnell daran gewöhnt, Sarah und Yasmîna im Haus zu haben. Genau genommen hatte er sich in seinem Zuhause nie so wohl gefühlt wie in den vergangenen Monaten. Immer war jemand da, häufig kam Besuch, es duftete nach feinem Essen, und warm, gemütlich und ordentlich war es obendrein.
» Deshalb musst du ja nun nicht gleich jammern. Schließlich sind wir die längste Zeit unseres Lebens auch ohne sie zurechtgekommen, und das nicht einmal schlecht, oder? Außerdem dauert es nicht lange, schon in ein paar Wochen segeln wir wieder nach Melilla.« Damit wandte er sich seinen Ladelisten zu.
Nach kurzer Zeit schob er die Bücher allerdings beiseite und füllte sein Glas erneut. Wann Sarahs Eltern wohl seine Nachricht in Händen hielten? Und was würden sie unternehmen, wenn sie ihre Tochter zurück in Marokko wussten? Würden sie sofort nach Melilla aufbrechen? Plötzlich neigte sich das Schiff so stark, dass der Wein überlief. Pacelli fluchte leise und leerte das Glas in einem Zug. Er würde wer weiß was darum geben, könnte er bei diesem Wiedersehen dabei sein.
55
In den Nächten wurde es bereits kühl, dennoch lärmten die Zikaden noch wie in der Sommerzeit. Von irgendwoher aus großer Höhe drang der Schrei eines Falken an Saïds Ohr, und dazwischen vernahm er die Geräusche der Karawane. Wie immer ritt der junge Sheïk voraus. Er querte einen steinigen Bachlauf, der nur wenig Wasser führte, dann folgte er dem ausgetretenen Weg bergauf. Der letzte Pass lag vor ihnen, trotz seiner geringen Höhe so etwas wie ein Tor in eine andere Welt. Jenseits dieses Übergangs lichteten sich die dunklen Zedernwälder, und schon bald würden sie auf die Bäche und Weiden der Viehzüchter treffen sowie auf Herden, deren Tiere vor Gesundheit strotzten. Jedenfalls war es so gewesen, bevor die osmanischen Soldaten und ihre sa’adischen Verfolger hier durchgezogen waren.
Er blickte zurück. Die Spitze der Karawane bildeten sechs Bewaffnete auf schnellen Pferden, dahinter, auf dem ersten mehari und mit Rücksicht auf ihre Bequemlichkeit in einer gepolsterten Frauensänfte mit geschlossenen Vorhängen, wusste er seine Mutter. Ihr folgten eine junge Dienerin sowie Hassan und Idriss zu Pferde, die beiden führten jeweils zwei weitere, ungesattelte Pferde mit sich. Ihnen folgten die Lasttiere, starke und ausgeruhte Kamele, mit denen er zu normalen Zeiten die Reise nach Timbuktu unternommen hätte. Jetzt trugen sie keine Waren oder Futterballen, noch nicht einmal größere Wasservorräte, sondern lediglich das Reisegepäck.
Imam Alî, gefesselt am staubigen Ende der kleinen Karawane, saß wegen seiner erst halb verheilten Beinverletzung ebenfalls in einer Sänfte. Allerdings hatten Amron und Hamid darauf bestanden, dass Kissen, Vorhänge und alles, was seinem Komfort hätte dienen können, daraus entfernt wurden. Unter Amrons und Hamids wachsamen Augen balancierte der Imam auf dem dürrem Astgeflecht und klammerte sich an die Streben der Sänfte. Amron, der alte Schreiber, hatte es sich nicht nehmen lassen, den Gefangenen zu begleiten. Er wollte sichergehen, dass er eine zwar gerechte, aber dennoch möglichst harte Strafe erhielt. Sechs weitere Männer bildeten den Schluss.
Nach dem Ende der unruhigen Zeiten und mit Beginn der kühleren Herbstzeit zogen inzwischen wieder vereinzelt Händler und Kaufleute auf dieser alten Handelsstraße, und wie immer hatten sie auch jetzt zusätzlich zu ihren Waren Neuigkeiten im Gepäck. So zum Beispiel wussten sie über Sultan Ahmad zu erzählen, dass er in einem Gefecht zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher