Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
nur, um hier auf Schritt und Tritt auf Gier, Ablehnung und Krankheit zu stoßen und zu guter Letzt noch Straßenräubern in die Hände zu fallen? Verflucht sei der Tag, an dem unsere Füße das erste Mal afrikanischen Boden berührten. Alles haben sie uns genommen, nur das nackte Leben ist uns geblieben!« Der Alte brach seine Rede ab. Endlich öffnete er die Augen.
Saïd ging vor ihm in die Hocke. » Wer bist du, alter Mann? Warum wolltet ihr unsere Tiere stehlen? Und was redest du von Straßenräubern?«
» Statt uns zu helfen, wie es der Anstand jedem Fremden gegenüber gebietet, hat man uns bereits bei unserer Ankunft im Hafen von Melilla übers Ohr gehauen!«, fuhr der Mann fort, als habe er Saïds Fragen nicht gehört. » Damals begann das Unheil, das uns bis heute verfolgt.« Sein Versuch auszuspucken misslang. » Señor, gebt mir zu trinken, por favor. Meine Kehle ist ausgetrocknet.«
Saïd richtete den Alten in eine sitzende Position, öffnete die gerba und ließ ihn trinken.
» Wir sind keine Pferdediebe!«, fuhr der Alte fort. » Noch vor zwei Tagen kauften wir selbst neue Tiere und machten uns mit einem Führer auf den Weg. Doch der Elende steckte mit Räubern unter einer Decke und führte uns in eine Falle. Nun ist all unser Geld weg. Wir haben kein Dach über dem Kopf, nichts zu essen, keine Tiere mehr, um nach Bani Mellal weiterzuziehen, wo man uns sicher beistehen würde, und meine Schwiegertochter erwartet in Kürze ihr Kind.«
Schweigen senkte sich über den Lagerplatz.
» Ist der hier dein Sohn?«, fragte Saïd mit Blick auf den mittleren Mann, der sich langsam zu regen begann.
Der Alte nickte. » Beide sind meine Söhne, mein Jüngster Ismail und Salomon, mein Ältester. Unten wartet noch Lea, Salomons Frau, mit dem zweijährigen David. Wir sind der Rest, die anderen leben nicht mehr.«
Jetzt erst ließ der Alte seine Blicke herumgehen. Verdutzt über die Anzahl seiner Zuhörer nickte er jedem Einzelnen zu. » Ihr habt mehr Pferde und Kamele als Reiter«, stellte er schließlich fest. » Ihr könntet uns einige leihen, damit wir Bani Mellal noch vor der Niederkunft erreichen können.«
» Kannst du bezahlen?«, fragte Saïd.
Der Alte schüttelte bedauernd den Kopf. » Sie musste springen.«
» Was? Wer musste springen?«
» Lea, meine Schwiegertochter.« Nach einem Blick in die fragenden Gesichter erklärte er: » Sie rühren Frauen nicht an, das weiß man. Aber die Halunken glaubten nicht, dass ihr dicker Bauch von einem Kind herrührte. Sie dachten, um ihren Leib sei lauter Gold gebunden.« Er zerrte ärgerlich an seinen Fesseln. Dann fuhr er fort: » Die Schurken hielten uns Messer an den Hals und ließen Lea hüpfen und springen. Und als tatsächlich Münzen in ihrem Gewand klimperten, musste sie alles abliefern. So ein Unglück! Außerdem nahmen sie die Maultiere und den Esel und ließen uns im Staub der Straße zurück.«
Inzwischen hatten auch seine beiden Söhne ihre Augen geöffnet. Der Junge stöhnte, der Ältere hingegen gab keinen Laut von sich.
» Kein Andalusier stiehlt Pferde, auch wir nicht. Wir sind ehrliche Kupferschmiede und leben von unserer Hände Arbeit, wie es dem Ewigen gefällt.« Stolz blickte der Alte in die Runde. Doch gleich darauf sank er wieder in sich zusammen. » Bin ich denn nicht verantwortlich für die Meinen? Wir sind nur noch so wenige . « Niemand regte sich. » Die anderen sind entweder bereits tot, oder aber sie sitzen im Kerker, obwohl sie sich taufen ließen.« Er rieb über seine Augen, bevor er mit tonloser Stimme fortfuhr: » In Granada, ach, was rede ich, in ganz Andalusien lodern noch immer die Feuer. Seit dem Ende der Kriege werden alle conversos verdächtigt, ihren alten Glaubensregeln nur zum Schein abgeschworen zu haben, ob sie nun ursprünglich der jüdischen oder der muslimischen Lehre angehörten. Ich sage Euch, kein Andalusier wird der Inquisition entgehen, bevor er nicht zweifelsfrei sein ›reines Blut‹ nachgewiesen hat. Das heißt, in seinem Stammbaum darf weder ein Jude noch ein Maure auftauchen. Dabei fließt das Blut Abrahams sogar in den Adern des allerkatholischsten Königs Ferdinand!«
Sarah dachte daran, was sie über das Leid ihrer Großmutter wusste. Auch sie hatte Lea geheißen, und auch sie hatte als kleines Mädchen mit ihrer Familie aus Granada fliehen müssen.
Während die Zuhörer an seinen Lippen hingen, kroch im Osten die Morgendämmerung herauf. Saïd fragte: » Und was wollt ihr in Bani Mellal
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