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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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genau über der Schlucht, das ist nicht weit von hier. Können wir ihm nicht bitte einen Besuch abstatten, bevor du mich zurückbringst?«
    Keine gute Idee. Die Jagd hat schon begonnen.
Nessa blickte aus unergründlichen Pupillen zu ihnen auf. Und wogte das Heulen und Belfern der Spalthunde nicht allmählich näher heran?
    »Bitte.«
    »Marielle, es tut mir leid.« Und das tat es wirklich, auf einer fernen Ebene seines Geistes, die er hinter die Gitter aus Pragmatismus und Selbstschutz zurückdrängte. Es tat ihm leid, dass sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben Zwängen unterwerfen musste, auf die sie keinen Einfluss hatte. Er bedauerte, dass ihre Vorstellungen von Romantik mit der politischen Eheschließung nach dem Willen des Königs nicht zusammenpassten.
    Doch Newan war ja kein Monster. Der Prinz der Licht-Fayeí war nur ein verstörter Junge, der sich besser in die Staatsräson zu fügen wusste als Marielle. Sie würde darüber hinwegkommen. Und bald würden andere Sorgen die Königsstädte von Níval beschäftigen. Sarrakhans Gnade, wenn der Riss über dem Nebelsee sich mit der gleichen Geschwindigkeit weitete wie der hier, was dann? Aber nein, Scharlachrot war nicht wie die Dämmerschatten. Die Hülle würde widerstehen. Eine Zeit lang. Ein Jahr, vielleicht zwei. Genug Zeit für Eoghan, eine neue Heimat für sein Volk zu suchen.
    Vorausgesetzt, Santino erklärte ihm, was die Risse in Wirklichkeit bedeuteten. Doch dann würde der König Fragen stellen, und Männer wie Graf Felím würden ihn zum Verräter stempeln. Denn die Wahrheit war kompliziert. Zu kompliziert für ein einfaches Ja oder Nein.
    Er fasste Marielle am Arm. »Wir haben keine Zeit.«
    Sie schüttelte ihn ab. »Wieso tust du das?«
    »Was? Dir die Haut retten?«
    »Du verrätst unsere Freundschaft.« Ihre Stimme kippte in einen kläglichen Tonfall. Verräter, immerzu Verräter. Spielte es überhaupt eine Rolle, wie er sich entschied? Lief es nicht immer aufs Gleiche hinaus?
    Er antwortete nicht, sondern schob sie nur vorwärts. »Ken!«, rief er über die Schulter. »Du als Erster. Wir kommen direkt hinter dir.«
    Ken gehorchte und trat an ihnen vorbei auf den Durchgang zu. Es war ihm anzusehen, wie unwohl er sich fühlte. Wahrscheinlich wusste er nicht, für wen er Partei ergreifen sollte. Die Feuerblase über seinen Händen bäumte sich auf und verzerrte sich, doch er behielt die Kontrolle. Die Luft flimmerte ein wenig, grüne Pünktchen sprangen im Gewebe auf.
    Nein!,
schrie Nessa.
Nicht!
    Wie ein gelblich grüner Blitz fegte sie zwischen Kens Füße und brachte ihn zum Stolpern. Im gleichen Moment riss die Luft vor ihm auf, ein grünliches Wabern. Dahinter klaffte Schwärze.
    Lauft! Raus hier, sofort!
    Kens Feuer verpuffte. Nur das Giftgrün aus dem Tor leckte noch über die Wände. Santino versetzte Marielle einen Stoß in Richtung Ausgang und half Ken auf die Füße.
    Marielle blieb abrupt stehen. »Die Kätzchen!«
    »Habe ich.« Mit einer Hand zog er Ken mit sich, mit der anderen packte er den Korb. »Los, los, hier fliegt gleich alles in die Luft!«
    Sie rannten. Hals über Kopf stürmten sie auf den Ausgang zu. Sie erreichten das Freie, gerade als hinter ihnen das Tor explodierte. Ein gewaltiger Schwall warmer Luft umströmte sie, hob sie an, schleuderte sie nach vorn. In den grauen Ranken erhob sich ein Flüstern. Santino spürte einen Spross über sein Fußgelenk tasten, riss sich los und kroch ein Stück weiter. Ihm schwamm der Kopf. Es dauerte Sekunden, bis sich die Schlieren vor seinen Augen klärten. Der Korb lag ein Stück entfernt, die Kätzchen krabbelten auf den Stufen herum. Ken war schon wieder auf den Füßen. Marielle hockte auf den Knien und rieb sich die Stirn. Und Nessa? Schoss in Panik umher und scheuchte die Katzenkinder von den Purpurranken fort.
    Santino hob den Korb auf und half ihr, die Tierchen einzusammeln. Ken schloss sich an und zupfte einen feuerroten Fellball aus einer Blüte, deren Blütenblätter sich gerade schließen wollten. Rupertin war mitsamt seinem Wagen verschwunden. Großartig. Sarrakhans behaarte Füße, wollte dieser Albtraum kein Ende nehmen?
    »Was ist passiert?«, japste Marielle.
    »Das Tor ist explodiert.«
    »Ich wusste nicht, dass das …« Sie verstummte für einen Moment. »Genau wie das von Rupertin Hufschwinge. Aber warum?«
    »Was weiß ich.« Er lauschte auf den Chor aus Heulen und Hundegebell. »Vielleicht hat der Riss die Hülle dieser Welt so weit destabilisiert, dass jede

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