Purpurschatten
nicht etwa um einen der
Polizei bekannten oder auch unbekannten Mafioso, sondern um
Kardinalstaatssekretär Smolenski, den zweithöchsten Mann der römischen
Kurie. Nur eine Viertelstunde später, so erklärte der Kardinal
aufgelöst, und ihn hätte auf dem Weg zur Frühmesse der Tod ereilt. Wie
die meisten Kardinäle hatte auch Smolenski ein Privatleben und ein
Apartment in der Stadt.
Von der Suche nach Motiv und Täter einmal abgesehen, warf die
Explosion zwei Fragen auf. Die erste bezog sich auf ein Dutzend
Goldfische, welche neben den Trümmern auf dem Pflaster gefunden wurden;
die zweite Frage erhob sich, als unter angesengten und verbogenen
Metallstücken Einzelteile eines Gemäldes von Leonardo da Vinci zum
Vorschein kamen. Zusammengesetzt ergaben die auf Holz gemalten
Puzzleteile jenes Bild des heiligen Hieronymus, das sich einst im
Besitz der Malerin Angelika Kauffmann befunden hatte und in den Wirren
seiner Geschichte zerteilt worden war, bis man die eine Hälfte an einen
alten Geldtresor geschraubt entdeckte, die andere als Sitzfläche eines
Schusterschemels.
Auf diese Weise geriet die Frage, welcher Schurke dem Kardinal nach
dem Leben trachtete, in den Hintergrund, und die italienischen
Zeitungen gaben sich in Bezug auf die Goldfische und das Gemälde wilden
Spekulationen hin, so daß Kardinal Smolenski sich nach zwei Tagen
genötigt sah, sein Schweigen, das er sonst als Lebensaufgabe
betrachtete, zu brechen.
In der wöchentlichen Pressekonferenz der Kurie, in welcher
stundenlang zu Synoden, Heiligsprechungsprozessen, Enzykliken,
Frauenordination und Ökumenismus Stellung bezogen wird, verstieg sich
der Kardinalstaatssekretär zu zwei viel beachteten Aussagen, die das
Wohl der Kirche eigentlich nur am Rande berührten.
Kardinalstaatssekretär Smolenski outete sich in dürren, knappen
Worten als Aquarianer, wie Liebhaber von in Glaskästen schwimmenden
Fischen sich selbst bezeichnen. Er habe die Fische am Vorabend gekauft
und im Wagen gelassen, um sie am nächsten Tag mit in sein Büro im
Vatikan zu nehmen. Soviel zu den Fischen.
Bei den Einzelteilen, die zusammengesetzt ein Gemälde Leonardos
ergäben, handle es sich natürlich um eine Kopie. Das Original hänge,
für jedermann sichtbar, weiterhin im Leonardo-Saal Nr. IX der
Vatikanischen Museen. Er selbst, so Smolenski, habe die Kopie als
Geschenk für einen Freund geistlichen Standes in Auftrag gegeben.
Wer sah, wie Kardinal Smolenski zweimal pro Woche ein Dutzend
Goldfische in einer durchsichtigen Plastiktüte nach Hause trug, hätte
ihn durchaus für einen guten Menschen halten können. Aber das war nur
der Schein – und der Schein trügt bekanntlich, besonders der
fromme. Denn der Kardinalstaatssekretär leerte zweimal pro Woche die
Tüte mit den Goldfischen in ein zweihundert mal fünfzig mal siebzig
Zentimeter messendes Aquarium hungriger Piranhas und verfolgte stumm
und gottgefällig den Lauf der Natur, bis nur noch Gräten übrig waren.
Und was den in die Luft geflogenen Leonardo da Vinci betraf –
eine Kopie, wie Smolenski behauptete –, so erschien die Erklärung
des Kardinalstaatssekretärs ziemlich fadenscheinig, und in einem
Kommentar des ›Messaggero‹ wurde unverblümt die Frage gestellt, warum
der zweithöchste Mann der römischen Kurie mit einer Kopie von Leonardo
da Vinci im Kofferraum durch die Straßen Roms fährt.
Natürlich verfolgten Brodka und Juliette den Fall in den Zeitungen.
Und als zum erstenmal der Name Smolenski Erwähnung fand, wurde Brodka
hellhörig. Mit einem Mal kam in seinem Gedächtnis die Erinnerung an
jenen Brief seiner Mutter hoch, den sie ihrer Freundin Hilda Keller
geschrieben und den er von Hildas Mann zurückerhalten hatte. In dem
Brief hatte Claire Brodka geschrieben, Kardinal Smolenski sei ein
Teufel.
Dieser Kardinal Smolenski?
Brodka konnte sich ausrechnen, daß so viele Kardinäle mit Namen
Smolenski nicht auf dieser Erde wandelten, und so stand zu befürchten,
daß Smolenski tatsächlich die Schlüsselfigur jener Ereignisse war, die
ihn und Juliette an den Rand des Wahnsinns getrieben hatten.
Titus, der zwielichtige Typ, von dem Brodka bis heute nicht wußte,
was seine eigentlichen Absichten waren, hatte damals in Wien davon
geredet, daß es im Vatikan eine geheime Organisation gebe, eine heilige
Mafia, die den Milliarden-Konzern der Gläubigen lenke.
Was immer an Titus' Aussagen wahr oder gelogen sein mochte, mehrere
Anzeichen sprachen dafür, daß er recht hatte. Der
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