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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten
Autoren: Philipp Vandenberg
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ging ihm das Erlebnis mit Nora durch den Kopf Ihr Sex-Appeal hatte ihn zu einem geilen Bock gemacht, der kaum noch einen Funken Verstand besessen hatte. Brodka schüttelte den Kopf. Ausgerechnet ihm mußte so etwas passieren, einem Mann, der glaubte, alles im Leben erlebt zu haben. Einem Mann in seinem Alter. Lachhaft! Mein lieber Brodka, sagte er sich, du wirst doch nicht senil?
    Das Telefon summte. Es war Juliette. Sie schickte ihm Küsse durch den Hörer.
    »Gerade habe ich versucht, dich zu erreichen«, sagte Brodka.
    »Ich bin noch zu Hause«, entgegnete Juliette. »Mein Mann ist auf einem Kongreß. Wann kommst du endlich zurück? Du fehlst mir sehr. Wolltest du nicht längst wieder hier sein?«
    »Du weißt doch, wie das in meinem Job ist«, suchte Brodka bei einer Notlüge Zuflucht. »Wegen des schlechten Wetters konnte ich keine Aufnahmen im Freien machen. Ich … äh, weiß nicht einmal, ob ich heute fertig werde.«
    Eine Pause entstand, in der sich spürbare Unsicherheit, ja Peinlichkeit ausbreitete.
    »Ist etwas mit dir?« fragte Juliette schließlich. »Du klingst so merkwürdig.«
    »Wie meinst du das?« erwiderte Brodka mit gespielter Verwunderung. Dabei wußte er genau, daß seine Fähigkeit sich zu verstellen, bei Juliette ihre Grenzen hatte. Doch er hatte nicht vor, ihr am Telefon von den Ereignissen des gestrigen Tages zu erzählen, obgleich er Gewissensbisse verspürte, wenn er an Nora dachte. »Wie lange bleibt dein Mann noch fort?« fragte er, um das Thema zu wechseln.
    »Drei Tage«, antwortete Juliette. »Bitte, komm bald, bevor ich mich nach einem anderen Kerl umsehe.« Sie lachte leise.
    Das weitere Gespräch drehte sich um Nichtigkeiten. Brodka war mit seinen Gedanken ohnehin schon bei dem Treffen im Operncafé; außerdem war er peinlich darauf bedacht, keine Bemerkung über das Geschehen der letzten beiden Tage zu verlieren. Das mußte warten. Er hatte schon genug am Hals.
    Brodka versprach seine Rückkehr für den nächsten Tag und tauschte mit Juliette noch ein paar Belanglosigkeiten aus, als er plötzlich ein leises Geräusch an der Tür vernahm. Unter dem Türspalt wurde ein Zettel hindurchgestoßen.
    Nachdem er das Gespräch beendet hatte, hob Brodka den Zettel auf. Es war eine Hotel-Message: Anruf 8 Uhr 25: Frau Nora Markowicz, Linke Wienzeile, erbittet dringend Besuch.
    Brodka schaute auf die Uhr: fünf nach halb neun. Was hatte diese Nachricht zu bedeuten? Während er seinen Mantel anzog, bestellte er beim Portier ein Taxi.
    Als er vor dem Hotel auf die Straße trat, blinzelte die Sonne durch das Astwerk der Bäume, die den Kärntnerring säumten. Der Taxler schien stumm zu sein und mißgelaunt, was Brodka nur recht war. Ihm stand absolut nicht der Sinn nach Konversation.
    In den Morgenstunden hat der Wiener Verkehr etwas Neapolitanisches. Es hat den Anschein, als gelte das Faustrecht, und um diesem Nachdruck zu verleihen – und weil das ewige Stop-and-Go es erlaubt –, sind Automobilisten in der Hauptsache damit beschäftigt, die Scheiben ihrer Fahrzeuge herunterzukurbeln, um Vorder-, Hinter- oder Nebenleuten markige Schlachtrufe zu übermitteln. Zum Glück sind heimische Verkehrsteilnehmer daran gewöhnt; für sie sind die Beschimpfungen wie Valbil, ein Mittel, das den Gallenfluß fördert. Fremde verstehen die Kraftausdrücke ohnehin nicht.
    Bei Tag sieht die Wienzeile mit ihren Marktbuden und Ständen viel freundlicher aus als zu nächtlicher Stunde, und es bereitete Brodka Schwierigkeiten, die Einfahrt zu finden, welche zu dem Rückgebäude führte, wo Nora wohnte. Als er den Durchgang endlich entdeckt hatte, bezahlte er den Taxler und stieg aus. Er durchquerte das Vorderhaus und betrat das Rückgebäude.
    Im Inneren war es kaum wärmer als draußen. Brodka stieg über die abgetretenen Stufen zum ersten Stock hinauf. Von oben kam ihm eine ältere Frau entgegen, die sich am Geländer abstützen mußte. Sie musterte Brodka mit zusammengekniffenen Augen, wandte dann aber den Kopf zur Seite und ging wortlos vorüber.
    Nora schien ihn zu erwarten, denn die Tür stand einen Spalt offen.
    Brodka klopfte und trat ein.
    Wie eine Schlampe, die einen Freier erwartet, saß Nora auf dem Sofa hinter dem Küchentisch. Sie trug denselben geblümten Morgenmantel, der Brodka schon in der Nacht mißfallen hatte. Ihr Kopf lag weit im Nacken; die Arme waren ausgebreitet und die Beine gespreizt, daß man höher blicken konnte, als es einem Mann zukam, der nicht dafür bezahlte.
    Brodka hielt
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