Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
Eingang des ›Occident‹.
    Punkt elf betrat Nora das Hotel, nachdem kurz zuvor ein elegant gekleideter Herr im Eingang verschwunden war. Genau eine Stunde später verließ sie es wieder und ging über die Straße, um ebenfalls ein Taxi herbeizuwinken. Brodka wies den Fahrer an, dem Wagen zu folgen. Das Taxi nahm den Weg nach Süden, überquerte den Ring und fuhr an der Secession und dem Theater an der Wien vorüber in die Linke Wienzeile in südöstlicher Richtung. Mit Blick auf den Naschmarkt reihten sich hier die wuchtigen Bürgerhäuser, von denen viele in den letzten Jahren sehr schön restauriert worden waren, wie Elefanten in einer Herde.
    Das Taxi hielt vor einem Durchgang, der hinter eine Häuserzeile führte. Nora stieg aus. Brodka folgte ihr in sicherem Abstand.
    Hinter dem Durchgang entdeckte er ein heruntergekommenes Mietshaus, sechsstöckig und mit Blick auf den spärlich erleuchteten Innenhof. Aus der Fassade ragten eiserne Balkons, die in der Hauptsache als Abstellplätze benutzt wurden und den Eindruck vermittelten, als würden sie jeden Augenblick in die Tiefe stürzen.
    Brodka folgte Nora unbemerkt durch die Haustür, ein hohes, hölzernes Ungetüm, dessen Schloß längst schon den Dienst aufgegeben hatte. Er hörte, wie im ersten Stock eine Tür auf- und zuging, und stieg die Treppe hinauf.
    ›Markowicz‹ stand rechter Hand auf dem Türschild. Brodka drückte auf den Klingelknopf, was ein häßliches Schnarren verursachte. Als Nora keine Anstalten machte, die Tür zu öffnen, begann Brodka lautstark zu klopfen.
    Schließlich hörte er eine Stimme: »Wer ist da?«
    »Brodka!« sagte er laut.
    Zuerst geschah nichts. Sekundenlang herrschte Stille. Dann hörte Brodka, wie ein Schlüssel im Schloß gedreht wurde, und Nora öffnete die Tür einen Spalt. Dahinter erschien ihr grell geschminktes Gesicht.
    »Verschwinden Sie!« zischte sie. »Sonst rufe ich die Polizei.«
    Brodka stieß mit dem Fuß die Tür auf, schob Nora zur Seite und stand mitten in der Wohnung, die nur aus einem einzigen großen Zimmer bestand, welches mit alten, sperrigen Möbeln in zwei Räume aufgeteilt worden war.
    »Ich rufe die Polizei!« wiederholte Nora heftiger. Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie war halb entkleidet und trug ein purpurviolettes Mieder, aus dem ihre Brüste hervorquollen.
    Purpur, dachte Brodka. Ausgerechnet!
    Er reagierte nicht auf Noras Drohungen, blickte sich statt dessen in dem ziemlich heruntergekommenen Zimmer um.
    Nora zeigte sich plötzlich prüde und schlüpfte in einen geblümten Morgenmantel. Sie fingerte eine Zigarette und ein Feuerzeug aus der Tasche. Als sie die Zigarette anzünden wollte, schlug Brodka sie ihr aus der Hand.
    »Was soll das? Was wollen Sie?« rief Nora und machte einen Schritt auf das Telefon zu, das auf einem kleinen Tisch neben dem Sofa stand. Doch Brodka kam ihr zuvor, riß ihr den Apparat aus der Hand und schmetterte ihn auf den Boden.
    »Was wolltest du von mir, lautet wohl eher die Frage!« Brodka konnte nicht mehr an sich halten. Er stieß Nora aufs Sofa, daß sie einen schrillen Schrei ausstieß und den Kopf schützend in der rechten Armbeuge verbarg.
    Brodka baute sich drohend vor ihr auf und wiederholte: »Also, was wolltest du von mir? Wer waren deine Auftraggeber? Raus damit!«
    Als Nora den Arm vom Gesicht nahm, war ihr Lidschatten verlaufen, ihr Haar zerzaust. Von ihrer Attraktivität war nicht mehr viel geblieben. Brodka fragte sich, wie diese Frau ihm so sehr den Kopf hatte verdrehen können.
    Nora stammelte irgend etwas von viel Geld, für das sie den Auftrag übernommen habe; Geld, das sie dringend benötige. Er sehe ja, in welchen Verhältnissen sie lebe.
    »Und wer hat dir das Geld gegeben?«
    »Zwei Männer. Ich kenne ihre Namen nicht. Es ging auf Vermittlung von Madame …«
    »Madame?«
    »Ja, die Chefin vom ›Occident‹. Wer sich etwas nebenbei verdienen will, so wie ich, ohne sich mit einem Zuhälter einzulassen, der hinterläßt seine Telefonnummer bei Madame. Und Männer, die Lust auf irgendein besonderes Vergnügen haben, gehen ebenfalls zu ihr. Jeder in Wien weiß das.«
    »Und diese beiden Männer haben dir Geld gegeben? Wofür?«
    »Ich sollte Sie ausforschen. Ihr ganzes Leben, alle Einzelheiten, Ihre ganze Vergangenheit. Die Männer haben mir zwanzigtausend Schilling als Vorschuß gegeben. Morgen sollte ich noch einmal zwanzigtausend bekommen, wenn ich ihnen berichte, was ich über Sie herausgefunden habe. Aber das kann ich jetzt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher