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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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und sein seltsamer Freund mit den Ereignissen zu tun haben sollten, erschien ihm undenkbar; andererseits löste Schlegelmilchs Verhalten bei Brodka Spekulationen aus, die jedoch allesamt keinen Sinn ergaben.
    Am Vormittag des nächsten Tages machte Brodka sich erneut auf den Weg zur Zwölfergasse. Schlegelmilchs Worte, er, Brodka, habe es mit einem Gegner zu tun, gegen den er keine Chance hätte, gingen ihm nicht aus dem Kopf. Wenn er von jemandem mehr über die Hintergründe des Geschehens der letzten Tage erfahren konnte, dann war es Schlegelmilch. Wie der Mann reagieren würde, war Brodka gleichgültig. Er wollte um jeden Preis Auskunft darüber, was Agostinos herausgefunden hatte.
    Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, nachdem er das sechste Stockwerk erreicht hatte und auf den Klingelknopf drückte.
    Titus öffnete in derselben schlampigen Kleidung wie gestern, in fleckigem Unterhemd und Boxershorts. Als er Brodka erkannte, wollte er die Tür zuschlagen, doch Brodka war schneller und schob einen Fuß in die Tür.
    »Ich muß Agostinos sprechen«, sagte er. »Es ist wichtig.«
    »Er ist nicht da«, entgegnete Titus unwillig. »Es ist besser, du gehst jetzt.«
    »Dann muß ich mit dir reden«, erwiderte Brodka. »Verdammt, es ist mir ernst! Ich habe dir doch erzählt, wie tief ich in der Scheiße sitze.«
    Titus zögerte einen Moment; dann seufzte er und ließ Brodka ein.
    »Agostinos weiß mehr über mich«, sagte Brodka. »Warum will er nicht mit der Sprache raus? Warum ergeht er sich in Andeutungen?«
    Titus hob die Schultern und schwieg.
    Brodka hielt den Blick fest auf den schmuddeligen Mann gerichtet. Wut stieg in ihm auf, daß dieser seltsame Kerl möglicherweise über den Schlüssel verfügte, der eine Erklärung für seine absurde Situation bot.
    »Und was ist mit dir?« fragte Brodka. »Warum rückst du nicht mit der Sprache raus? Was hast du zu befürchten?«
    Schließlich ließ Titus die Schultern sinken und begann zögerlich, als suche er nach Worten: »Ich darf … ich will nichts sagen. Es gibt eine Organisation, die viel mächtiger ist als die ehrenwerte Gesellschaft … und die teuflischer ist als der Teufel. Du solltest ihr aus dem Weg gehen. Gegen diese Leute hast du keine Chance. Keine Chance, hörst du!«
    Titus redete mit solcher Eindringlichkeit, daß Brodka fröstelte. Er wußte die Worte nicht zu deuten. Warum redete Titus nicht Klartext, wenn er um die Hintergründe wußte?
    »Du kennst diese Leute?« fragte Brodka.
    »Nein«, antwortete Titus hastig. »Nur ein paar … Handlanger, kleine Rädchen in dem großen Getriebe, austauschbar und jederzeit zu ersetzen.«
    »Warum sagst du mir nicht wenigstens, was du weißt?«
    Titus schwieg.
    »Also gut«, meint Brodka bitter, »dann behalte es für dich. Aber beantworte mir eine letzte Frage: Was würdest du an meiner Stelle tun?«
    Brodka glaubte schon, Titus würde auch auf diese Frage nicht eingehen, doch nach kurzem Zögern erwiderte er: »An deiner Stelle würde ich mir eine neue Identität beschaffen. Ich würde mich von meinem bisherigen Leben verabschieden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Ich würde so tun, als wäre ich tot. Vor allem würde ich die Vergangenheit ruhenlassen. Und jetzt verschwinde möglichst unauffällig!«
    Während Titus bereits die Tür schloß, nahm Brodka an der Garderobe, einem scheußlichen Ungetüm aus Schmiedeeisen, eine Schlinge wahr. Gewiß hätte er die kunstvoll geknüpfte Kordel übersehen, wäre sie nicht purpurrot gewesen – jene Farbe, gegen die Brodka eine tiefe Abneigung hegte und die bei ihm stets ein Gefühl des Unbehagens hervorrief ohne daß er eine Erklärung dafür hatte.
    Auf dem Heimflug kreisten seine Gedanken um den Ratschlag, den Titus ihm gegeben hatte. Einfach aus dem Leben verschwinden – ein verlockender Gedanke in dieser unerträglichen Situation. Vielleicht wäre es wirklich das Beste, irgendwo ein neues Leben zu beginnen. In London, Rom, Zürich, New York …
    Aber da war Juliette. Die Vorstellung, ohne sie leben zu müssen, war Brodka unerträglich. Er liebte sie. Und er brauchte sie – mehr als je zuvor.

K APITEL 4
    Am Abend des Tages, an dem Brodka aus Wien zurückkehrte, parkte Professor Collin seinen Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor Juliettes Galerie. Es war gegen 18 Uhr und bereits dunkel. Collin blieb im Auto sitzen.
    Aus seiner Manteltasche zog er ein kleines schwarzes Kästchen hervor, kaum so groß wie eine Zigarettenschachtel; dann fingerte er

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