Pusteblume
verschwenden.«
»Nein!« Katherine war aufgesprungen, hatte die
Nadeln genommen, sie aus dem halb gestrickten Ärmel
gezerrt und angefangen, alles aufzutrennen, Reihe für
Reihe. »Es ist nur eine Entschuldigung, ihn zu sehen, wie
das Geld, das er dir schuldet, und der Duschvorhang, den
du dagelassen hast, und wie die Tatsache, daß du
vergessen hast, Beryl einen Tritt zu versetzen. Nein,
Tara, nein!«
Tara sah sie mit erstaunten Augen an. »Ist schon gut«,
flüsterte sie.
Katherine stampfte zu ihrem Platz neben Joe und
murmelte: »Tut mir leid, daß du Zeuge dieser Szene
geworden bist.«
»Mir wird ganz angst und bange!« Er tat verschreckt,
worauf sie lachten und die Spannung sich löste.
Tara fand ihn entzückend. Und so entgegenkommend!
Tara vermutete, daß Katherine und Joe die meiste Zeit in
Katherines Wohnung waren und sich nicht in trauter
Zweisamkeit in Joes Wohnung zurückzogen, damit sie
Tara im Auge behalten konnten. Katherine hatte sogar
das Telefon aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer
gestellt und Taras Mobiltelefon konfisziert. »Ich kann
nicht verhindern, daß du ihn vom Büro aus anrufst, aber
wenigstens kannst du es nicht tun, wenn du betrunken
nach Hause kommst.«
Eines Nachts hatten Joe und Katherine sich Tara in
den Weg gestellt, als sie betrunken mit dem Auto losfahren wollte. »Ich will nicht
zu
ihm fahren«, hatte Tara ärgerlich erklärt, »ich will nur bei ihm
vorbei
fahren.«
»Das erlaube ich nur, wenn du ihn im Vorbeifahren
erschießen willst«, hatte Katherine gesagt. »Und jetzt ab
ins Bett!«
Tara zwang sich aufzustehen und strich das Datum aus. Zwanzig Tage. Fast drei Wochen. Und nach drei Wochen wäre es bald ein Monat.
Bisher hatte sie es geschafft, ihn nicht anzurufen. Aber das war nur ihrer übermenschlichen Stärke zu verdanken. Jeder Tag kam ihr vor wie ein Tausendkilometermarsch, auf dem sie dauernd an der Gelegenheit vorbeikam, ihn anzurufen. Manchmal hatte sie regelrecht Schweißausbrüche, solche Anstrengung kostete es sie, ihn nicht anzurufen.
Am Wochenende, ohne die Ablenkung der Arbeit, war die Qual hundertmal so groß.
Nachdem der erste Schmerz der Trennung nachgelassen hatte, mußte sie erkennen, daß sie nicht nur Thomas vermißte, sondern auch alles, was das Zusammensein mit ihm bedeutete: Akzeptanz, Unterstützung, jemand, mit dem man Pläne machen und dem man berichten konnte. Sie war zutiefst dankbar, daß sie Freunde hatte, aber ohne die Selbstverständlichkeit des gemeinsamen Tagesablaufs mit einem Geliebten fühlte sie sich wie ein ungebundenes Element im weiten Raum.
Sie hatte Thomas nie gern angerufen, um zu sagen, daß sie spät zu Hause sein würde, aber jetzt, da es keinen kümmerte, ob sie überhaupt nach Hause kam, schien ihr das etwas Wünschenswertes. Und obwohl sie und Thomas nie richtig in die Ferien gefahren waren, konnte sie jetzt nur hoffen, daß ihre Freunde – vielleicht Milo und Liv oder Katherine und Joe – sie aus Mitleid mitnahmen, wenn sie verreisten. Sie wußte, wie unangemessen diese Gefühle waren, aber dennoch konnte sie sie nicht verdrängen. Am Schluß fühlte sie sich nicht nur einsam, sondern auch noch schuldbewußt.
Ihre nostalgischen Gefühle waren so stark, daß sie sogar die schreckliche, braune, höhlenähnliche Wohnung vermißte. Zwar gehörte sie Thomas, aber es war ihr Zuhause gewesen. Und jetzt lebte sie wie ein Flüchtling im Gästezimmer der Wohnung ihrer Freundin, wo sie befürchtete, Katherine auf die Nerven zu gehen, und sich nicht entspannen konnte. Sie hatte Angst, zuviel Zeit im Bad zu verbringen, traute sich nicht zu sagen, was sie gern im Fernsehen ansehen wollte, befürchtete, zuviel Strom zu verbrauchen, und war sich bewußt, daß jede Unordnung sofort aufgeräumt werden mußte.
Sie labte sich an Phantasievorstellungen, daß Thomas zu ihr kommen und sie leidenschaftlich bitten würde, zu ihr zurückzukommen. Aber abgesehen von dem einen Anruf, als er gefragt hatte, ob sie befreundet bleiben könnten, hatte sie nichts von ihm gehört. Wenn sie ehrlich war, wußte sie, daß es auch keinen geben würde. In seinem Macho-Kodex war es unehrenwert, Schwäche oder Bedürfnisse zuzugeben. Auch wenn er vor Sehnsucht sterben würde, würde er sie nicht anrufen.
Zu der Durchhalteübung eines Lebens ohne Thomas kam noch die kräftezehrende Sorge um Fintan. Nach drei Schüben der Chemotherapie hatte sein Körper immer noch keine Reaktion gezeigt. Die Blutbilder ergaben, daß sich
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