Pusteblume
Wie geht es ihr?«
»Sie ist ziemlich fertig, ehrlich gesagt.«
»Roy Orbison?«
»Nein.« Katherine lächelte geheimnisvoll. Die CD mit Roy Orbison lag zur Zeit unter vier Photoalben in einem Schuhkarton, der bei ihr auf dem Schrank stand. Dorthin hatte Katherine sie verfrachtet, kaum daß Tara mit ihren Kisten eingetroffen war, denn sie hatte nicht vor, noch einmal zwei Monate lang »It’s oooooh-ver!« zu ertragen.
»Redet sie dauernd davon, daß sie lesbisch werden muß, weil sie nie wieder einen Mann kennenlernen wird?«
»Ja, wie damals.«
»Abendkurse?«
»Sie redet von Mosaikmachen, von einem Portugiesischkurs und Banjostunden. Ich warne dich jetzt schon mal, daß sie plant, dich mit einzubeziehen.«
»Du lieber Gott –
Banjo
-Stunden! Ist es da nicht ein Glück, daß ich morgen für die nächste Ladung Chemotherapie ins Krankenhaus muß und mir so elend sein wird, daß es mir schon reichen wird, ein Banjo auch nur anzugucken?«
»Wirklich ein Glück.«
»Glaubst du, sie wird zu Thomas zurückgehen?«
»Also, er hat schon angerufen und gefragt, ob sie weiterhin Freunde bleiben könnten.«
»Na klar, er wollte mit ihr ins Bett. Und was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt – es war klasse, was sie gesagt hat, Fintan. Sie hat gesagt: › Weiterhin? Wie können wir weiterhin Freunde bleiben, wenn wir noch nie Freunde waren?‹«
»Oh, wunderbar! Sie kommt drüber hinweg. Aber wir dürfen auf keinen Fall anregen, daß sie sich mit ihm für gewisse Stunden trifft. Wir wissen ja, was nach Alasdair passiert ist.«
»Genau. Was ist das für ein Kasten da in der Ecke?«
»Mein Heimtrainer. Keine Angst, ich schicke ihn zurück. Jetzt erzähl mal, wie es dir geht.«
»Sehr gut.« Katherine grinste breit wie die CheshireKatze in Alice im Wunderland. »Sehr, sehr gut.«
»Immer noch drei Stunden Schlaf pro Nacht?«
»Wenn überhaupt.«
»Und sieh dich an! Das blühende Leben. Wann lerne ich ihn kennen?«
»Wann möchtest du?«
»Besser, wir warten, bis die Chemotherapie vorbei ist. Ich will ja nicht beim ersten Mal über deinen neuen Freund kotzen. Das wäre eine schlechte Umgangsform.« Das Telefon klingelte, und Fintan sagte: »Gehst du mal ran? Du sitzt näher. Wer kann es sein? Oh, diese ganzen gesellschaftlichen Verpflichtungen, meine Güte!«
»Hallo«, sagte Katherine. »Ah, hallo, Mrs. O’Grady. Wirklich? Sind Sie sicher? Nein, das wußte ich nicht. Nein, wirklich nicht. Ich schwöre es, ich habe keine Ahnung. Ich verstehe, ja – ich verst – genau – ich verstehe – Aber warten Sie mal einen Moment. Vielleicht sollten Sie sich erst vergewissern, daß es stimmt, bevor Sie jemanden umbringen.«
Katherine reichte Fintan den Hörer. »Deine Mutter. Hast du schon davon gehört, daß Milo den Hof verkaufen und nach London ziehen will?«
Tara stieg aus dem Bett und strich als erstes einen Tag auf dem Kalender aus, den Katherine ihr gegeben hatte. Zehn. Die zehnte Nacht hintereinander, die sie ohne Thomas verbracht hatte. Die zehnte unendliche, schlaflose Nacht, nachdem ihr Biorhythmus durch die Ortsveränderung und die großen Mengen Alkohol, die sie zu sich nahm, um den Schmerz und die Angst vor der gähnend leeren Zukunft zu betäuben, völlig durcheinandergeraten war.
Ihr unerschütterlicher Mut, den sie gegenüber Thomas an den Tag gelegt hatte, war schon verflogen, bevor sie bei Katherine angekommen war. Fast hätte sie kehrtgemacht und wäre zurückgefahren. Aber sie wußte, daß ihr dieser Weg versperrt war, weil sie Thomas so gründlich gedemütigt hatte. Alle sagten, sie würde über ihn hinwegkommen, aber sie wußte, daß ihr Leben zu Ende war. Sie dachte zurück an die ausgelassenen, sorgenfreien Tage, als sie Ende zwanzig war und noch viel Zeit vor sich hatte. Natürlich, als Alasdair sie damals sitzengelassen hatte, war sie auch überzeugt gewesen, daß es für sie zu spät sei, aber diesmal, zwei Jahre später, war es wirklich aus und vorbei.
Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich aufzurichten und weiterzumachen, die sie früher hatte. Das war ihre letzte Chance gewesen, und sie hatte sie vertan.
Der Gedanke, wieder zu Thomas zu gehen, war sehr verführerisch. Jetzt, nach vollzogener Trennung, kam er ihr nicht mehr so übel vor. Seine Reizbarkeit schien kein so hoher Preis mehr für Zweisamkeit. Zwar hatten sie ihre Unstimmigkeiten, aber sie kannten sich sehr gut. Wieviel Vertrautheit lag doch in dem schnippischen Ton ihrer Unterhaltungen. Besser man hatte jemanden, mit dem
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