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Pusteblume

Pusteblume

Titel: Pusteblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Augen.
    »Was hast du gemacht?« Agnes, ihre Mutter, befürchtete Schlimmes.
    »Ich habe den Priester mit Torf beworfen, als er auf seinem Fahrrad vorbeikam.« Delia prustete vor Lachen. Agnes hastete zum Fenster und sah, wie Father Crimmond, wütend in die Pedale tretend, davonfuhr; an seiner Soutane klebte noch ein Stück Torf.
    »Benimm dich anständig! Deinetwegen kriegen wir alle noch Scherereien«, schalt Agnes sie empört und doch seltsam erregt.
    »Scherereien sind genau das, was wir hier brauchen«, sagte Delia finster. »Scherereien würden allen hier unendlich guttun.«
    Als die Nachricht von der Torfattacke die Runde machte, war das Städtchen in Aufruhr, und zwei stämmige Matronen behaupteten, sie seien glatt in Ohnmacht gefallen. So etwas hätten sie noch nie gehört.
    In seiner nächsten Predigt erwähnte Father Crimmond den Vorfall indirekt und forderte die Gemeinde auf, für die arme, verwirrte Person, die ihn angegriffen habe, zu beten.
    »Sie verdient eher unser Mitleid als unseren Spott«, sagte er abschließend, was die Gemeinde enttäuschte, denn sie hatte sich auf eine kräftige Abreibung gefreut.
    Delia war in mehreren Gemeinden das häufigste Gesprächsthema. Die Leute schüttelten den Kopf, wenn sie sie kommen sahen, und sagten: »Bei der kleinen Casey ist wohl ‘ne Schraube locker«, und: »Die von den Caseys hat sie nicht mehr alle.«
    Delias Vater Austin, ein überaus sanftmütiger Mann, vermutete, daß sie ein Wechselbalg sei. Andere argwöhnten mit kühler Vernunft, daß Agnes fremdgegangen war.
    Delia rebellierte weiter. Aber keiner schloß sich ihr an, die anderen hatten zuviel Angst. Und da es allein keinen rechten Spaß machte, ging Delia 1966 nach London, wo sich ihr viele andere Möglichkeiten boten, gegen die Gesellschaft aufzubegehren, als lediglich mit festen Brennstoffen auf bewegliche Priester zu werfen.
    Der wesentliche Teil ihres Protests floß in Sex und Drogen; beidem gab sie sich ausgiebig hin. Falls jemand anzweifelte, daß es ihr mit dem Bedürfnis zu rebellieren
    ernst war, bewies sie ihre Entschlossenheit, indem sie schwanger wurde. Nicht nur das, sondern der Mann war auch noch verheiratet und machte keinerlei Anstalten,
    seine Frau zu verlassen.
    Doch plötzlich, zu ihrer eigenen Überraschung, bekam Delia es mit der Angst zu tun. Sie fühlte sich jung, allein und verunsichert. Sie bereute es, Irland verlassen zu
    haben. Sie bedauerte, je von London gehört zu haben. Sie verfluchte ihr aufsässiges Wesen. Warum war sie nicht so geworden wie die Mädchen, mit denen sie zur Schule
    gegangen war? Von denen war ein Fünftel in einen Orden eingetreten. Warum hatte sie nicht, genau wie die anderen, Angst vor Fegefeuer und Verdammnis gehabt? Ihr armer Vater! Er würde sich verpflichtet fühlen, sie mit dem Gürtel zu verprügeln; so gehörte es sich nämlich.
    Er würde es mit großem Widerwillen tun, weil er ein so sanftmütiger Mensch war, aber Regeln waren dazu da, daß man sie einhielt.
    Doch das Schicksal verschonte ihn, denn eine Woche nachdem Delia festgestellt hatte, daß sie schwanger war, erlitt er einen Herzinfarkt und starb. (Er war draußen
    beim Torfstechen gewesen. Agnes meinte, daß Torf der Familie nichts als Kummer brachte.)
    Während der Zugfahrt nach Hause überlegte Delia, wie sie ihre Situation erklären sollte: »Ein neues Leben, das an die Stelle des alten tritt. Dada ist tot, aber ein neuer Mensch kommt zur Welt und nimmt seinen Platz ein.«
    Sie war nervös. Geschwängert und fallengelassen zu werden hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen.
    Das Prinzip von Freiheit und Ungebundenheit, das ihr in London so wichtig und wahrhaftig vorgekommen war, schien immer weniger überzeugend, je mehr sie sich
    Knockavoy näherte.
    Aber sie mußte warten, bis die Trauergemeinde und auch die ungebetenen Gäste alle Sandwiches aufgegessen und das Faß Portwein geleert hatten und schließlich gegangen waren, bevor sie mit ihrer Neuigkeit herauskommen konnte: »Mama, ich bekomme ein Kind.«
    »Das dachte ich mir schon, mein Herz«, sagte Agnes.
    Sie hatte mit nichts anderem gerechnet. Sie wußte, auf welche Eskapaden sich die Menschen in gottlosen Städten wie London einließen, und war standhaft bereit, die Konsequenzen zu tragen. Nur bedauerte sie, daß sie nicht selbst eine Weile in London leben konnte.
    Sie hatte schon lange nichts Aufregendes mehr erlebt. Seit dem Ende des Bürgerkriegs nicht, wenn sie es recht bedachte. Das Kind kam Ende August zur Welt.

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