Pusteblume
Da dies der Sommer der freien Liebe war, wollte Delia ihre Tochter Raindrop oder Moonbeam nennen, aber da schritt Agnes ein. »Sie ist der Bastard der Stadt«, sagte sie ruhig, »Gib ihr lieber einen anständigen Namen, damit sie nicht auch noch zum Gespött der Stadt wird.«
Alle erwarteten, daß Delia wieder nach London gehen würde, aber sie blieb in Knockavoy, und keiner verstand, warum. Sie am allerwenigsten. Sie wußte, daß es etwas mit der Panik zu tun hatte, die sie verspürt hatte, als sie merkte, daß sie schwanger war. Nie zuvor hatte sie Angst gekannt, und sie wollte die Bekanntschaft nicht erneuern.
Sie lebte zusammen mit ihrer Mutter in dem Haus, in dem sie aufgewachsen war, und zog ihr Kind groß. Sie arbeitete hier und da, im Sommer half sie im Pub, mal sprang sie für den Schulbusfahrer ein, der dem Alkohol verfallen war, und dann ging sie ihrer Mutter bei der Arbeit mit den Hühnern und den Kühen und bei der Feldarbeit auf dem kleinen Hof zur Hand.
Delia war immer noch eine Schönheit, aber zu wild und ungezähmt, als daß ein Mann daran interessiert gewesen wäre, sie und ihre kleine Tochter zu sich zu nehmen. Sie scheute sich nicht, Menschen vor den Kopf zu stoßen, und war mehr denn je eine Außenseiterin. Mit ihren radikalen Ideen bezog sie Stellung zu der Politik in der fernen Welt. Sie organisierte eine Protestversammlung gegen den Vietnamkrieg, die an einem Samstagnachmittag vor Tullys Eisenwarenhandlung stattfinden sollte. Sie hatte das Geschäft als Treffpunkt ausgewählt, weil Curly Tully in den fünfziger Jahren für ein paar Monate in Boston gelebt hatte.
Aber die einzigen, die erschienen, waren sie selbst und ihre zwei Jahre alte Tochter Katherine. (Agnes sagte, sie würdeDelia gern unterstützen, müsse aber die Kühe melken.)
Als es kurz vor fünf war und Delia schon die Segel streichen wollte, sah sie eine Gruppe von sechs oder sieben Menschen auf sich zukommen. Statt ein paar bissige Bemerkungen zu machen und weiterzugehen, blieben die Leute stehen. Delia war hocherfreut, doch dann stellte sich heraus, daß alle sieben gekommen waren, um Padraig Cronin beim Kauf einer Leiter zu helfen.
Dann startete Delia eine Unterschriftensammlung gegen die Apartheid und versuchte, die Kirchgänger, die aus der Mittagsmesse kamen, zu überreden, die Petition zu unterschreiben. Sie bekam sieben Unterschriften zusammen: ihre eigene, die ihrer Mutter, die ihrer Tochter, die von dem Schwachkopf Tommy Forman, von einem Mr. D. Duck, einem Mr. M. Mouse und einem Mr. J. F. Kennedy.
Ende der siebziger Jahre fing sie an, sich für die Sandinisten zu engagieren, und organisierte einen Basar, um Geld zu sammeln.
Vier Menschen besuchten den Basar, der Erlös betrug zwei Pfund und elf Pence. Sie träumte davon, ein Begegnungszentrum einzurichten. Dann erwog sie, in Knockavoy ein Krisenzentrum für vergewaltigte Frauen aufzubauen, obwohl seit Jahrzehnten keine Frau vergewaltigt worden war.
Sie bot einen Yogakurs an, aber keiner kam. Sie versuchte, einen Kunstgewerbeladen zu eröffnen, aber die Waren ließen sich nicht verkaufen. Sie trug wallende Kleider, Clogs und Holzperlenketten und behauptete, übernatürliche Kräfte zu besitzen. Sie
brachte Katherine bei, sie Delia zu nennen, ermunterte sie, nicht zur Schule zu gehen, wenn sie keine Lust dazu hatte, und auf keinen Fall die Messe zu besuchen, wenn sie das nicht wollte. Noch bevor Katherine gelernt hatte, sich die Schuhe zuzubinden, kannte sie sich bei der menschlichen Fortpflanzung bestens aus.
Natürlich rebellierte Katherine. Sie tat es, indem sie sauber, ordentlich, gehorsam, fleißig und fromm war. Sie war sanftmütig, stellte keine Fragen, befolgte die Anordnungen der Nonnen, kannte ihren Katechismus rückwärts (die höchste Stufe) und erzählte allen, daß der Tag ihrer Erstkommunion der glücklichste Tag ihres Lebens gewesen war.
Delia war fassungslos. »Wenn sie erst mal in die Pubertät kommt«, sagte sie hoffnungsvoll, »dann werden sich die Gene durchsetzen. Sie ist schließlich die Tochter ihrer Mutter.«
Aber sie war auch die Tochter ihres Vaters.
Es gehörte zu Delias freiheitlichen Überzeugungen, daß sie Katherine nie die Lügengeschichte auftischte, ihr Vater sei im Krieg oder bei einem Autounfall oder bei
der Feldarbeit (man suche sich das Passende aus) ums Leben gekommen. Schon früh erfuhr Katherine, daß ihr Vater ein eingebildeter bürgerlicher Feigling namens Geoff Melody war, der Delia mit einer Mischung aus Drogen
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