Pusteblume
Satz, den man ebenso häufig von ihm hörte.) Die ihn kannten, sagten, er habe kurze Arme und tiefe Taschen; er sichere seine Brieftasche mit einem Vorhängeschloß; er sei immer der erste, der aus dem Taxi springe, und der letzte, der eine Runde an der Bar bestelle; er würde den Penny so lange umdrehen, bis einem ganz schwindlig würde.
Aber er tat sich selbst auch keinen Gefallen. Statt eine gewisse Großzügigkeit vorzutäuschen, indem er sein Kleingeld lose in der Hosentasche klimpern ließ wie andere Männer, verstärkte er noch seinen Ruf als Geizhals und steckte die Münzen in ein Portemonnaie, ein kleines, braunes Plastikportemonnaie mit einem Schnappverschluß, wie alte Damen es benutzten. Katherine hatte es ihm einmal entwendet und aufgemacht, bevor Thomas es ihr wieder entreißen konnte. Sie schwor Stein und Bein, daß eine Motte daraus weggeflogen sei.
»Ich finde es furchtbar, daß wir immer pleite sind, Tara«, jammerte Thomas. »Du hörst nicht auf, Geld auszugeben, und ich habe keins zum Ausgeben. Mit dem Rauchen müssen wir jedenfalls aufhören.«
»Der Monatsanfang eignet sich für solche Sachen immer am besten«, sagte Tara, um ihn zu beschwichtigen.
»Wahrscheinlich hast du recht.«
»Und der erste Oktober ist schon vorbei. Also hören wir beide am ersten November auf.«
»Abgemacht!«
Darauf vergaßen sie es beide.
»Zeit, ins Bett zu gehen.« Thomas stemmte sich aus dem Sofa hoch. »Nun komm, mein Geburtstagskind, ich habe ein Geschenk für dich.«
Taras Gesicht leuchtete auf. Doch dann deutete Thomas mit dem Blick auf seinen Hosenschritt. Ach so, das war sein Geschenk.
Sie erinnerte sich an ihren Geburtstag vor zwei Jahren. Damals war sie seit knapp einem Monat mit Thomas zusammen, und weil sie neunundzwanzig wurde, hatte er ihr neunundzwanzig Geschenke besorgt. Zugegeben, manche waren winzig gewesen – eins war eine Schachtel mit bunten Streichhölzern –, und die meisten taugten nichts – wie der rosafarbene Glitzernagellack und die Ohrringe, von denen sich ihre Ohrlöcher entzündeten –, aber daß er die Zeit aufgewendet und sich Gedanken gemacht hatte und die Mühe, jedes Geschenk einzeln einzuwickeln, hatte sie zutiefst gerührt.
Sie seufzte. Das erste Verliebtsein konnte nicht für immer anhalten. Das wußte jeder. In der Dunkelheit schlang sie ihre Arme um ihn und drängte sich an seine kuschelige Wärme; ein Wohlgefühl durchströmte ihren Körper. Sie war geborgen und wurde geliebt, sie war im Bett mit ihrem Geliebten.
7
O bwohl der folgende Tag ein Samstag war, mußte Katherine ins Büro. Bevor sie aufbrach, rief sie ihre Großmutter an, die an dem Tag einundneunzig wurde. Sie zögerte, bevor sie zum Hörer griff. Das hatte nichts mit dem Geburtstagskind zu tun – Katherine liebte ihre Großmutter. Doch nachdem sie gewählt hatte und darauf wartete, daß es in Knockavoy klingelte, betete sie wie jedesmal, daß nicht ihre Mutter Delia an den Apparat gehen würde. »Hallo«, sagte Delia mit ihrer atemlosen Stimme. Katherine spürte die übliche Gereiztheit. »Hallo, Mam«, brachte sie heraus.
»Katherine«, sagte Delia erstaunt. »So wahr ich hier stehe! Gerade noch habe ich von dir gesprochen.
Stimmt’s, Agnes?«
»Nein«, hörte Katherine ihre Großmutter im Hintergrund, »kein Wort hast du von ihr gesagt, es sei denn, du hast Selbstgespräche geführt. Das wäre ja nicht das erste Mal.«
»Ich habe wohl von dir gesprochen«, beharrte Delia.
»Ich wußte, daß das Telefon klingeln würde, und ich wußte, daß du es sein würdest. Ich weiß solche Sachen immer. Ich spüre sie im voraus.«
»Das möchtest du gern«, sagte Katherine spöttisch.
»Du weißt ganz genau, daß ich immer an Grannys Geburtstag anrufe.«
»Du sollst nicht Granny zu ihr sagen, sie heißt Agnes.
Und dir sage ich, seit du auf der Welt bist, daß du mich nicht Mam nennen sollst. Ich heiße Delia.«
Katherines Familie war ungewöhnlich, wenigstens in Knockavoy. Sie kreiste um Delia, Katherines Mutter, die in ihrer Jugend eine wilde, schöne Frau gewesen war. Ihr Denken war sehr unkonventionell, und als Jugendliche in den sechziger Jahren erzählte sie jedem, der bereit war zuzuhören (in Knockavoy herzlich wenige), daß die
katholische Kirche Irland im Knebelgriff hielt. Sie kannte keine Furcht.
Als sie siebzehn war, kam sie eines Tages in die Küche – die Hände schmutzig, das schwarze Haar mehr als sonst zerzaust und ein nicht zu verheimlichendes Leuchten in den hellen
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