Pusteblume
und Beteuerungen, daß er seine Frau verlassen würde, ins Bett gelockt hatte.
Obwohl es weder Kontakt noch Sehnsucht zwischen Delia und Geoff Melody gab, erklärte Delia wiederholt, daß sie es Katherine ermöglichen würde, ihren Vater kennenzulernen, wenn sie das wolle. Doch erst als Katherine neunzehn war, kam sie auf Delias Angebot zurück. Natürlich war Katherines Vaterlosigkeit Anlaß für böse Scherze von ihren Schulkameraden. Zumindest dann, wenn Tara nicht neben ihr stand und sie beschützte.
Aber Katherine wußte sich auch allein gut zu wehren, wenn die anderen Kinder – immer Ausschau haltend, ob Tara irgendwo auftauchte – ihren Singsang anstimmten:
»Du hast keinen Dada, du hast keinen Dada.«
»Wie kann man etwas vermissen, was man nie gehabt hat?« fragte sie ruhig. Dann lächelte sie geheimnisvoll, während die Kinder verwirrt verstummten und sich abwandten. Warum weinte sie nicht, wenn man sie ärgerte? Warum kamen sich die anderen Kinder dumm vor, und nicht Katherine? Und wo hatte Tara Butler gelernt, einem so gut den Arm umzudrehen?
Als Katherine schließlich, nachdem sie ihren ersten Liebeskummer erlebt hatte, den Wunsch äußerte, ihren Vater kennenzulernen, gab Delia ihr bereitwillig seine letzte bekannte Adresse. »Sie ist zwar zwanzig Jahre alt, aber wahrscheinlich lebt er immer noch da«, sagte sie.
Und konnte es sich nicht verkneifen, böse hinzuzufügen:
»Es würde mich nicht wundern, so wie er war.«
Agnes kam ans Telefon und sprach mit Katherine. Sie sagte, es sei ein wunderbarer Geburtstag, und dankte Katherine für das Paar Seidentücher. »Ich kann sie gut gebrauchen«, sagte sie. Und das stimmte auch. Am Abend zuvor war der Haken von der Tür zum Hühnerhaus abgefallen, und die Tücher eigneten sich bestens dazu, den Rahmen am Pfosten festzumachen. »Wie ist das Leben in London?« fragte Agnes schüchtern. »Immer noch gottlos?«
»Und wie, Granny«, sagte Katherine überschäumend. »Schlimmer als je zuvor. Warum kommst du mich nicht besuchen, dann erlebst du es selbst?«
»Ach was«, sagte Agnes. »Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie du sagst, und dann bin ich nur enttäuscht. Nein, nein, ich bleibe lieber hier und male es mir aus.«
8
K atherine verließ das viktorianische Reihenhaus aus rotem Backstein, das in Etagenwohnungen umgewandelt worden war. Hier hatte sie eine Wohnung im ersten Stock. Als sie vor die Tür trat, verrenkte sich der Fahrer eines vorbeikommenden Autos derart den Hals nach ihr, daß er fast den Bordstein mitgenommen hätte. In ihrem grauen Kostüm sah sie frisch und adrett aus, ihre Haare waren perfekt gefönt, und keins hätte gewagt, aus der Reihe zu tanzen. Am Gartentor verharrte sie einen Moment und ließ ihren Blick über den staubblauen Karmann Ghia gleiten. Katherine war ungeheuer stolz auf ihr Auto und hätte es geküßt, wenn sie sich nicht vor den Blicken etwaiger Nachbarn, die schon früh auf waren, gefürchtet hätte.
Ihre Freunde waren oft überrascht, wenn sie Katherines elegantes Auto sahen. Offenbar wußten sie nicht, daß Katherine zu den Menschen gehörte, die ihre Ziele hoch steckten. Wenn sie sich welche steckten.
Ihre Freunde waren auch überrascht, daß Katherine ein derartig unzuverlässiges Auto besaß. Der Karmann Ghia war das einzig wilde Element in ihrem sonst so wohlgeordneten Leben. Und obwohl der Wagen ihren Gefühlen und ihrem Konto heftig zusetzte, blieb Katherine ihm treu. Sie verbrachte soviel Zeit in der Werkstatt, daß sie mit Lionel, dem Mechaniker, scherzte, sie würde ihr erstes Kind nach ihm nennen. Er war sehr angetan von der Idee, und sie fand es überflüssig, ihm zu sagen, daß sie keine Absicht hatte, Kinder zu bekommen.
Normalerweise fuhr Katherine nicht mit dem Auto zur Arbeit, aber es war Samstag und die Straßen waren leer, so daß sie es ausnahmsweise doch tat. Sie war erstaunt, daß sie vor der Tür von Breen Helmsford, der Werbeagentur, wo sie Prokuristin war, einen Parkplatz fand. »Dem Herrn sei Lob und Dank«, murmelte sie. »Ein Wunder.«
Nicht nur das Auto überraschte Katherines Freunde, sondern auch die Tatsache, daß sie in einer Werbeagentur arbeitete. Sie fanden Katherine nicht dynamisch und forsch genug, ihrer Meinung nach war sie zu ernst und zurückhaltend. Zum Glück verlangte es ihre Arbeit als Prokuristin nicht, daß sie pausenlos begeistert war und mit Sätzen um sich warf wie: »Dann wollen wir ihnen das mal hinknallen – mal sehen, ob jemand Blut leckt.« Im
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