Pyramiden
erstreckte. Teppicymon besaß jetzt keinen Körper mehr, der ihn mit profanen Dingen belastete, und deshalb schien die Welt voller Überraschungen zu sein. Unglücklicherweise ergab sich fast sofort eine Schlußfolgerung, die dem Pharao vages Unbehagen bescherte: Was er bisher als wahr und richtig erachtet hatte, war ebenso zuverlässig wie hohes Sumpfgras – man konnte nie wissen, was sich darunter verbarg. Hinzu kam eine andere sehr unangenehme Tatsache. Man würde ihn in einer Pyramide begraben, obwohl er endlich bereit war, die Welt in vollen Zügen zu genießen.
Wenn man stirbt, verliert man zuerst das Leben und dann die Illusionen.
OFFENBAR HABEN SIE EINE MENGE GEDANKENARBEIT ZU LEISTEN, sagte Tod und schwang sich auf sein Pferd. WENN SIE MICH JETZT BITTE ENTSCHULDIGEN WÜRDEN …
»Einen Augenblick …«
JA?
»Als ich fiel … Ich hatte wirklich das Gefühl, wie eine Möwe zu fliegen.«
DER UNSTERBLICHE TEIL VON IHNEN IST GEFLOGEN. SIE SIND JETZT DURCH UND DURCH STERBLICH.
»Sterblich?«
JA. GLAUBEN SIE MIR. ÜBER SOLCHE DINGE WEISS ICH BESCHEID.
»Oh! Nun, ich würde Ihnen gern noch einige Fragen stellen …«
KANN ICH MIR DENKEN. LEIDER SEHE ICH MICH AUSSERSTANDE, SIE ZU BEANTWORTEN. Tod bohrte knöcherne Hacken in die Flanken des Pferds und verschwand.
Der Pharao drehte sich um, als zwei Diener an der Palastmauer entlangliefen und sich vorsichtig der Leiche näherten.
»Fühlen Sie sich wohl, o strahlender Herr der Sonne?« erkundigte sich der eine.
»Ob ich mich wohl fühle?« entgegnete Teppicymon. Ungewißheit nagte an einigen seiner wichtigsten Annahmen in bezug auf die Struktur des Universums, und so etwas ist nicht dazu geeignet, gute Laune zu schaffen. »Zufälligerweise bin ich derzeit tot. Bemerkenswert, nicht wahr?« fügte er bitter hinzu.
»Können Sie uns hören, o heiliger Bringer des Morgens?« fragte der andere Diener.
»Ich bin gerade dreißig Meter tief gefallen und auf den Kopf geprallt!« rief der Pharao. »Vielleicht sind dabei auch meine Ohren in Mitleidenschaft gezogen worden.«
»Ich glaube, er kann uns nicht hören, Jahmet«, sagte der erste Bedienstete.
»He, Lakaien!« donnerte Teppicymon. Es gab da eine außerordentlich bedeutsame Botschaft, die er übermitteln wollte, und die Diener waren so unerhört frech, einfach nicht auf ihn zu achten. »Setzt euch mit meinem Sohn in Verbindung und sagt ihm, er soll die Sache mit den Pyramiden vergessen, zumindest so lange, bis ich gründlich darüber nachgedacht habe; ich bin auf einige Dinge aufmerksam geworden, die sich zu widersprechen scheinen, ich meine die Vorbereitungen auf das Leben nach dem Tod und …«
»Soll ich schreien?« fragte Jahmet.
»Bestimmt kannst du nicht laut genug schreien. Ich befürchte, der Pharao ist tot.«
Jahmet blickte auf die langsam steif werdende Leiche herab.
»Verdammter Mist«, sagte er. »Dieser Tag fängt ja gut an. Zumindest der Morgen ist im Eimer.«
Die Sonne wußte natürlich nichts davon, daß ihr Leuchten einem Abschiedsgruß gleichkam. Völlig gleichgültig und apathisch setzte sie ihren Weg über den Himmel fort. Eine Möwe sauste aus der goldenen Scheibe hervor, flog wesentlich schneller, als es sich für einen Vogel gehörte. Sie raste in Richtung Ankh-Morpork, näherte sich der Messingbrücke und acht reglosen Gestalten, hielt genau auf ein erstaunt blickendes Gesicht zu …
Möwen waren keine Seltenheit in Ankh-Morpork. Aber als dieses besondere Exemplar über die Gruppe hinwegsegelte, stieß es einen langen kehligen Schrei aus, der drei Diebe dazu veranlaßte, ihre Messer fallen zu lassen. Kein Geschöpf mit Federn wäre imstande gewesen, einen solchen Laut von sich zu geben – er zeichnete sich durch akustische Krallen und Klauen aus.
Der Vogel (bleiben wir bei dieser Bezeichnung) drehte ab, landete auf einem hölzernen Nilpferd und beobachtete die Gestalten aus glühenden roten Pupillen.
Der Chefdieb wandte den faszinierten Blick von der Möwe ab, als Arthur im Plauderton sagte: »Dies ist ein Wurfmesser vom Typ Drei. Für den Umgang mit Wurfmessern habe ich eine Zwei Plus bekommen. Auf welches Auge möchtest du verzichten?«
Der Anführer musterte ihn. Was die beiden anderen jungen Assassinen betraf … Einer von ihnen starrte noch immer auf den Vogel. Der andere beugte sich übers Geländer und konzentrierte sich darauf, seinen Magen zu entleeren.
»Du bist ganz allein«, sagte er, »und wir sind fünf.«
»Gleich sind nur noch vier übrig«,
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