Qiu Xiaolong
für fremde Ohren bestimmt waren. Lächelnd ergriff sie Chens ausgestreckte Hand.
Chen war kein so begabter Tänzer wie ihr voriger Partner, aber der Tanz war ein Twostep, sinnlich und langsam und für beide nicht schwer. Peiqin setzte das eben Gelernte in die Praxis um. Sie fand es jetzt ganz natürlich, dem Rhythmus der Musik zu folgen.
»Yu will, daß ich Ihnen etwas sage«, flüsterte sie, den Mund dicht an Chens Ohr gepreßt. »Er hat einen Zeugen ausfindig gemacht, der Wu Xiaoming in der Mordnacht im Kreis Qingpu gesehen hat.«
»Im Kreis Qingpu?«
»Ja, im Kreis Qingpu, kaum zehn Kilometer vom Tatort, an einer Tankstelle. Wu hat dort gehalten, um zu tanken. Das Auto war ein weißer Lexus, und der Zeuge ist Tankwart, der sich also mit Autos gut auskennt. Er hat auch die Kopie von dem Benzinbezugsschein aufbewahrt, mit dem der Fahrer das Benzin zum halben Preis gekauft hat. Der Bezugsschein kann einem Autokennzeichen zugeordnet werden.«
»Das ist ja unglaublich!«
»Noch etwas …«
»Sie sind hinreißend heute abend«, sagte Chen mit gewinnendem Lächeln, »absolut hinreißend.«
»Vielen Dank.« Peiqin errötete, obgleich sie wußte, daß das Kompliment nicht für ihre Ohren bestimmt war: Es tat trotzdem gut, ein Kompliment zu bekommen. Besonders von einem Mann, der ihr auch hinter ihrem Rücken Komplimente gemacht hatte. Laut Yu hatte Oberinspektor Chen seinen Kollegen mehr als einmal zur Wahl seiner Ehepartnerin beglückwünscht.
Dann schalt Peiqin sich selbst für solche Gedanken. Sie erledigte schließlich nur eine Aufgabe für ihren Mann. Schluß, aus. Was war nur in sie gefahren, fragte sie sich. Das kam davon, wenn man zu oft den Traum der Roten Kammer las. Sie senkte das Kinn, um ihre Schamröte zu verbergen. Aber sie mußte sich eingestehen, daß der Abend amüsant war, und sie fand den Druck von Oberinspektor Chens Hand auf ihrer Hüfte stimulierender, als sie gedacht hätte.
»Yu hat auch mit Jiang Weihe und Ningjing gesprochen«, stieß sie eilig hervor.
»Ningjing – wer ist das?«
»Eine von den Frauen, mit denen Wu Xiaoming zu tun hatte. Jiang hat Yu ihren Namen gegeben.«
»Wieso?«
»Jiang wußte nichts von dem Verhältnis zwischen Guan und Wu. Aber Ning war ihre Nachfolgerin bei Wu, und deshalb glaubte Jiang, daß sie vielleicht etwas über Guan wissen könnte.«
»Und, hat sie etwas gewußt?« Dabei grinste Chen ein vorübertanzendes Paar, mit dem sie beinahe zusammengestoßen wären, freundlich an.
»Nicht viel. Aber Ning hat Guan einmal bei einer Party in Wus Wohnung getroffen.«
»Sie tanzen so wundervoll«, flötete er und blickte dabei aufmerksam über Peiqins Schulter.
»Vielen Dank«, sagte sie und wurde wieder rot.
Sie bewegten sich jetzt zu einer schnellen Melodie. Der ständige Wechsel der Lichteffekte gab der Szene etwas Unwirkliches. Peiqin spürte, daß Chen sich scheute, sie an sich zu drücken.
»Und noch etwas…«
»Das ist ein großer Schritt.«
»Ah ja«, sagte sie, ohne zu wissen, was er meinte. »Was ist der nächste Schritt?«
»Lassen Sie mich überlegen …«
Das Gespräch geriet ins Stocken. Chen ließ sofort das Thema fallen, wenn Leute in Hörweite waren. Die Tänzer im Saal kamen einander oft ganz nah. Auch war sich Peiqin nicht sicher, ob Chen ihr Flüstern bei der dröhnenden Musik überhaupt hören konnte.
Nach dem Tanz stellte Chen sie dem älteren Herrn aus Amerika vor, mit dem er hereingekommen war.
»Sie sind schön«, sagte der Amerikaner auf chinesisch.
»Thank you«, erwiderte sie.
Seit einigen Jahren besuchte sie in einer Abendschule hin und wieder Englischkurse. Sie tat es hauptsächlich ihrem Sohn zuliebe, aber jetzt machte es ihr Spaß, mit ihrem amerikanischen Gesprächspartner ein paar einfache Sätze wechseln zu können.
Oberinspektor Chen tanzte währenddessen mit einer anderen.
Sie begriff, daß dies alles sein mußte. Sie tat es für Yu. Und für sich selbst.
Als sie an ihren Tisch zurückkam, war die Limonade lauwarm geworden. Peiqin schüttelte leicht den Kopf in Yus Richtung. Sie fragte sich, ob er diese Geste erkennen würde oder ihre Bedeutung verstand.
Jetzt erschien ein Dai-Mädchen auf dem Podium und verkündete, daß es Zeit für das Karaoke war.
Einige Leute schafften ein Fernsehgerät auf das Podium. Auf dem riesigen Bildschirm sah man junge Dai-Liebespaare, die singend in einem Fluß herumtollten.
Peiqin war ratlos. Wie konnte sie es einrichten, Oberinspektor Chen den Rest ihrer Informationen
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