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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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keine Zeit.
    Unten sah er schon einen schwarzen Volkswagen, der an der Einfahrt auf ihn wartete. Der Fahrer, der Kleine Zhou, grinste über das ganze Gesicht. Parteisekretär Li hatte die Dringlichkeit der neuen Aufgabe nicht übertrieben.
    »Gute Nachrichten!«
    »Nicht, daß ich wüßte«, entgegnete Chen.
    »Aber ich weiß es! Wir fahren in Ihr neues Büro«, sagte der Kleine Zhou. »Parteisekretär Li hat es mir eben gesagt.«
    Der Verkehr war sehr dicht. Chen dachte darüber und überseinen neuen Posten nach, während der Santana durch die Yen’an Lu kroch. Sie brauchten fast eine Stunde bis zu dem am Platz des Volkes gelegenen Rathaus.
    »So eine Lage! Und jetzt haben Sie einen Wagen ganz für sich allein und einen Fahrer auch«, sagte der Kleine Zhou und streckte Chen durch das Fenster die Hand hin. »Vergessen Sie uns nicht.«
    Sein neues Büro bestand aus einer ganzen Zimmerflucht im Rathaus, im Zentrum von Shanghai. In demselben Gebäude waren die Stadtregierung und mehrere wichtige Institutionen untergebracht. Man hatte sich wohl für ein so imposantes Büro entschieden, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß die Stadtväter dem Verkehrsinfarkt wirklich Beachtung schenkten, dachte Chen bei sich.
    »Willkommen, Direktor Chen!« Ein junges Mädchen mit einer silbergeränderten Brille wartete schon auf ihn. »Ich bin Meiling, Ihre Sekretärin.«
    Meiling begann sogleich, ihn in die Geheimnisse seines neuen Wirkungsbereichs einzuweihen. »Dieses Amt ist nicht einfach eine Abteilung des Shanghaier Polizeipräsidiums«, erklärte sie. »Es untersteht der Stadtregierung und dem Polizeipräsidium gemeinsam. Sogar der Bürgermeister persönlich schaut von Zeit zu Zeit vorbei.«
    »Verstehe«, sagte Chen. »Es gibt also eine Menge Arbeit.«
    In Meilings Schlepptau unternahm er eine Besichtigungstour durch seine Bürosuite.
    Danach fühlte sich Chen desorientierter als zuvor. Noch am Morgen war er bereit gewesen, den Dienst zu quittieren, und hatte seine Karriere für erledigt gehalten. Jetzt saß er an einem imposanten Schreibtisch, im Rücken ein riesiges Fenster, das auf den Platz des Volkes hinausging, vor sich ein Namensschild aus Messing, das in der Nachmittagssonne glänzte.
    Aber er hatte keine Zeit, über diese unverhoffte Wende nachzudenken. Meiling brachte ihm ein Exemplar des hausinternen Mitteilungsblattes. »Das ist die neueste Nummer. Sie wurde eben geliefert.«
    Diese Ausgabe des Blattes beschäftigte sich vor allem mit Verkehrsdelikten. Die meisten Delinquenten waren ganz junge Leute. Trotzdem konnte es ihnen blühen, daß sie hart bestraft wurden – der Bericht schlug einen politisch ernsten Ton an. Die schlimmsten Verkehrssünder konnten zehn bis fünfzehn Jahre bekommen.
    Chen lehnte sich in seinem Drehsessel zurück. Er fühlte sich erschöpft und zugleich erheitert, während er zusah, wie Meiling die Papiere auf seinem Schreibtisch ordentlich aufeinanderschichtete. Seine erste Sekretärin. Unglaublich, wieviel doch die Gegenwart einer Frau im Büro ausmachte.
    Er machte sich an die Arbeit.
    Der Arbeitstag wurde länger als erwartet. Um sechs sagte er Meiling, sie könne jetzt nach Hause gehen. Als er endlich selbst das Büro verlassen konnte, war es schon nach acht.
    Der Kleine Zhou hatte mit seiner Vermutung recht behalten. Chen verfügte über einen eigenen Dienstwagen samt Fahrer, der ihn zwischendurch im Büro angerufen und gefragt hatte, wann er gebraucht würde. Doch Chen lehnte das Angebot ab; als Direktor des Shanghaier Verkehrskontrollamtes fühlte er sich verpflichtet, die Lage aus erster Hand kennenzulernen.
    Mein Roß fliegt jubelnd durch den Frühlingswind.
    An einem Tag erblicke ich alle Blumen Luoyangs.
    Von wegen! Der Entschluß, mit dem Omnibus anstatt mit dem Auto nach Hause zu fahren, kostete ihn eine weitere Stunde. In der Henan Lu blieb der Bus im Verkehr stecken. Die Autos standen Stoßstange an Stoßstange. Draußen war es heiß, und die Fahrgäste schimpften lautstark auf die stickige Luft.
    Erst als er in seiner Wohnung angekommen war und sich eine Zigarette angezündet hatte, vermochte er die Ereignisse dieses Tages Revue passieren zu lassen.
    Er dachte über die Bemerkung nach, die Parteisekretär Li gemacht hatte, als Chen sein Büro verließ: über Lings Ferngespräch aus Peking. Hatte seine Beförderung mit ihrer Familie zu tun? Das war zu befürchten.

 
    38
     
    OBERINSPEKTOR CHEN – »Direktor Chen« –, in seinem ledernen Drehsessel vor einer mit

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