Qiu Xiaolong
über den Fall Guan Hong-ying.«
»Darüber weiß ich nichts.«
»In Ihrer Zeugenaussage«, begann Chen und holte einen Aktenordner aus dem Schrank, »haben Sie gesagt, am Abend des 10. Mai sei Wu Xiaoming gegen neun Uhr dreißig mit seinem Auto zu Ihnen gefahren. Wu habe Ihr Arbeitszimmer in eine Dunkelkammer verwandelt und dort die ganze Nacht mit dem Entwickeln seiner Filme verbracht. In derselben Nacht wurde an einer Tankstelle, knapp zehn Kilometer vom Baili-Kanal entfernt, ein weißer Lexus gesehen. In diesem Kanal wurde am nächsten Tag die Leiche von Guan Hongying entdeckt. Das Auto war der Wagen von Wu Xiaoming, daran gibt es keinen Zweifel. Wir haben die Quittung mit der Bezugsscheinnummer. Wer hat den Wagen in jener Nacht gefahren?«
»Wu könnte das Auto doch irgend jemandem geliehen haben. Wieso machen Sie mich dafür verantwortlich?«
»Nach Ihrer Zeugenaussage hatte Wu seinen Wagen direkt vor Ihrem Haus geparkt. Wu hat die improvisierte Dunkelkammer angeblich die ganze Nacht nicht für eine Minute verlassen. Das haben Sie nachdrücklich betont. Aber daß Sie selbst in der Nacht nicht aus dem Haus gegangen sind – das haben Sie nicht gesagt. Sie hatten die Wagenschlüssel, genauso wie heute. Sie müssen der Fahrer gewesen sein – oder Sie geben Wu ein falsches Alibi.«
»Auf die Tour können Sie die Leute nicht austricksen, Genosse Oberinspektor! Da können Sie sagen, was Sie wollen – ich habe den Wagen in jener Nacht nicht gefahren. Punkt, aus, Ende.«
»Sie mögen es einen Trick nennen. Aber wir haben einen Zeugen.«
»Es gibt nichts, was Ihr sogenannter Zeuge gegen mich aussagen kann. Wir leben in den neunziger Jahren, da können Sie die Leute nicht mehr einfach so nach Lust und Laune einbuchten. Wenn es ein Fall ist, der Wu betrifft, schieben Sie ihn nicht mir in die Schuhe.«
»Kommen Sie mir nicht so!« sagte Chen und langte nach seiner Aktentasche. »Es geht nicht um Wu, sondern um Sie.
Um Behinderung der Justiz, Meineid und Beihilfe zum Mord. Sie sagten in Ihrer Zeugenaussage, Sie wüßten nicht, wer Guan Hongying sei. Das stimmte nicht. Hier, ich werde Ihnen etwas zeigen.«
Und damit zog er ein Bild aus der Aktentasche. Es zeigte Guan mit dem Mann, der rittlings auf ihr saß. »Sehen Sie sich das Bild gut an«, sagte er. »Dieses Bild wurde in Wu Xiaomings Villa aufgenommen, nicht wahr? Sie werden nicht bestreiten, daß Sie das sind.«
»Ich weiß nichts von dem Bild«, behauptete Guo verbissen, aber mit einem Anflug von Panik in der Stimme.
»Sie haben in Ihrer Zeugenaussage gelogen, Herr Guo Qiang«, stellte Chen fest und nahm genüßlich einen Schluck Tee. »Damit kommen Sie nicht durch.«
»Ich habe sie nicht umgebracht!« keuchte Guo und wischte sich Schweißperlen von der Stirn. »Sagen Sie, was Sie wollen, Sie haben keine Beweise.«
»Jetzt passen Sie mal auf. Selbst wenn wir Sie für den Mord nicht belangen können, dieses Foto allein reicht aus, um Sie für sieben bis acht Jahre hinter Gitter zu bringen. Dann ist da noch die Falschaussage. Ich würde mal sagen, fünfzehn Jahre. Ehe Sie wieder aus dem Kittchen kommen, sind Sie ein buckliger Tattergreis mit schneeweißem Haar. Und ich werde dafür sorgen, daß Sie unvergeßliche Tage dort haben. Darauf können Sie Gift nehmen.«
»Sie wollen mir drohen!«
»Und denken Sie auch an Ihre Familie. Was glauben Sie wohl, wie Ihre Frau reagiert, wenn sie dieses Bild zu sehen bekommt? Meinen Sie vielleicht, daß sie dann zwanzig Jahre oder länger auf Sie warten wird? Wohl kaum. Sie haben doch erst letztes Jahr geheiratet, wenn ich nicht irre? Denken Sie wenigstens an Ihre Frau, wenn Sie schon nicht an sich selbst denken wollen.«
»Das können Sie nicht machen!«
»Und ob ich kann! Und jetzt hören Sie: Arbeiten Sie mit mir zusammen. Das ist Ihre einzige Chance. Sagen Sie uns alles, was Sie über Wu und Guan wissen und was Wu am 10. Mai wirklich getan hat. Das könnte sich strafmildernd auswirken.«
»Sie glauben wirklich, Sie können Wu etwas anhaben?«
Chen verstand die Zweifel, die Guo bewegten.
Er öffnete noch einmal seine Aktentasche. Sie enthielt den Briefumschlag von der Parteizentrale. Ling hatte ihn vielleicht bewußt gewählt, damit andere ihn sehen sollten. Chen hatte den Umschlag mit sich herumgetragen – nicht aus sentimentalen Gründen, sondern weil er nicht wollte, daß er in seiner Wohnung lag, wenn die Innere Sicherheit dort herumschnüffelte.
»Dieser Fall«, sagte er und hielt Guo den Umschlag
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