Qiu Xiaolong
zehnten Ranges auf einen solchen Posten gesetzt. Eine derartige Beförderung glich, wie es in einer alten chinesischen Redensart hieß, dem Sprung des Karpfens über das Drachentor. Und höchst lukrativ war sie auch.
Nachdem es immer mehr Autos gab, die zum Verkehrsinfarkt beitrugen, hatte die Stadtregierung für die Erteilung von Fahrzeugzulassungen strenge Bestimmungen erlassen. Infolgedessen hatten die Bewerber um eine Zulassung neben der regulären Gebühr eine erhebliche Summe »durch die Hintertür« zu berappen. Da die meisten privaten Autobesitzer Senkrechtstarter waren, machte es ihnen nichts aus zu zahlen, wenn sie nur ein Lenkrad zwischen die Hände bekamen. Es war ein offenes Geheimnis, daß die Beamten des Verkehrskontrollamtes bestochen wurden.
»Ich bin ganz überwältigt«, sagte Chen, der sich in politische Klischees flüchtete, um Zeit zu gewinnen. »Ich bin zu jung für eine so überaus verantwortungsvolle Position. Und ich habe auf diesem Gebiet keine Erfahrung – absolut keine.«
»In den neunziger Jahren sammeln wir täglich neue Erfahrungen. Und außerdem: Warum sollten wir nicht auf unsere jungen Kader zurückgreifen?«
»Aber ich arbeite doch noch an dem Fall Guan Hongying. Ich bin doch nach wie vor Leiter der Sondergruppe – oder nicht?«
»Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Niemand behauptet, daß Sie von Ihrem Dienst hier suspendiert worden wären. Der Fall ist nicht abgeschlossen – darauf gebe ich Ihnen mein Wort als alter Bolschewik mit dreißigjähriger Parteimitgliedschaft. Es handelt sich um eine krisenbedingte Versetzung, Genosse Oberinspektor Chen.«
War das eine Falle? In seiner neuen Position konnte man ihn viel leichter mit irgendwelchen Unregelmäßigkeiten in Verbindung bringen. Oder handelte es sich um eine Degradierung im Gewande einer Beförderung? Eine solche Taktik war in der chinesischen Politik keineswegs unbekannt. Der neue Posten war nur eine Übergangslösung; nach einer Weile konnte Chen mit Fug und Recht abgelöst und gleichzeitig auch seines Status als Inspektor entkleidet werden.
Möglich war alles.
Draußen vor dem Fenster pulsierte der Verkehr in der Fuzhou Lu. Ein weißer Wagen brauste rücksichtslos über die Kreuzung.
Blitzartig kam Chen zu einem Entschluß. »Sie haben recht, Genosse Parteisekretär«, sagte er. »Wenn es die Entscheidung der Partei ist, muß ich sie akzeptieren.«
»Das ist die richtige Einstellung!« lobte Li, offenkundig erfreut. »Sie werden dort hervorragende Arbeit leisten.«
»Ich werde mein Bestes tun, aber ich möchte eine Bitte äußern: Ich will freie Hand haben. Keinen Kommissar Zhang oder dergleichen. Ich brauche die Ermächtigung, alles tun zu dürfen, was ich für notwendig halte. Selbstverständlich werde ich Ihnen berichten, Genosse Parteisekretär Li.«
»Sie haben jede Vollmacht, Genosse Direktor Chen«, sagte Li. »Sie müssen sich auch nicht überschlagen, um mir Bericht zu erstatten.«
»Wann soll ich anfangen?«
»Sofort«, erwiderte Li. »Ehrlich gesagt, wartet man dort schon auf Sie.«
Als Chen sich erhob, um Lis Büro zu verlassen, bemerkte der Parteisekretär beiläufig: »Übrigens hat gestern jemand aus Peking für Sie angerufen. Eine junge Frau, der Stimme nach zu urteilen.«
»Sie hat Ihre Nummer gewählt?«
»Nein, sie hatte irgendwie Zugang zu der Direktleitung zum Präsidium, und so wurde ich auf das Gespräch aufmerksam. Es war während der Mittagspause, aber wir konnten Sie nicht finden, und ich mußte in die Versammlung in der Stadtregierung.
Also, sie läßt Ihnen bestellen: ›Mach dir keine Sorgen. Es wird sich vieles ändern. Ich melde mich wieder. Ling.‹ Ihre Telefonnummer ist 987-5324. Wenn Sie sie zurückrufen möchten, können Sie die Direktleitung benutzen.«
»Nein, vielen Dank«, sagte Chen. »Ich glaube, ich weiß, worum es geht.«
Chen kannte die Nummer, aber er wollte nicht zurückrufen. Nicht in Gegenwart von Parteisekretär Li. Der Parteisekretär war politisch immer hellhörig. Daß Ling Zugang zu der Direktleitung zum Shanghaier Polizeipräsidium hatte, sprach für sich selbst. Und die Pekinger Telefonnummer auch.
Sie hatte einen weiteren Versuch gemacht, ihm zu helfen – auf ihre Weise.
Wie konnte er ihr böse sein?
Alles, was sie tat, tat sie um seinetwillen – und zu ihrem eigenen Nachteil.
»Nun machen Sie sich aber auch wirklich keine Sorgen!« mahnte Parteisekretär Li, als Oberinspektor Chen sein Büro verließ.
Oberinspektor Chen hatte dazu gar
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