Qiu Xiaolong
war.
»Ja, das erscheint mir sinnvoll. Tun Sie alles, was Sie für nötig erachten.«
»Ich werde mich bemühen«, sagte Yu. »Aber wie gesagt – leicht wird das nicht werden, weil es heutzutage so viele Autos in der Stadt gibt.«
»Inzwischen werden wir natürlich auch die Routineermittlungen durchführen. Ich werde zu der Betriebsunterkunft gehen, in der Guan gewohnt hat, und Sie werden Guans Kollegen im Kaufhaus befragen.«
»Gut«, sagte Yu. »Ich habe begriffen, daß es sich um einen politisch heiklen Fall handelt, aber was machen wir mit Kommissar Zhang?«
»Den werden wir über unsere Arbeit auf dem laufenden halten. Wann immer er etwas sagen möchte, hören Sie ihm zu, und zwar so respektvoll wie nur möglich«, sagte Chen. »Schließlich ist Zhang ein altgedienter Kader und hat als solcher einen gewissen Einfluß.«
7
HAUPTWACHTMEISTER YU wachte früh auf. Verschlafen blickte er auf den Radiowecker neben seinem Bett. Es war kurz vor sechs, doch er wußte, daß ihm ein langer Arbeitstag bevorstand. Also stand er möglichst leise auf, um seine Frau Peiqin nicht zu wecken. Sie hatte sich in ihr Kissen gekuschelt, die gestreifte Decke lag zerwühlt am Fußende, ihre nackten Füße lugten darunter hervor.
Gewöhnlich stand Yu um sieben auf, joggte auf der Jinjin Donglu, las beim Frühstück die Morgenzeitung, schickte seinen Sohn Qinqin in die Schule und ging dann ins Büro. Doch an diesem Morgen beschloß er, es anders zu machen. Er mußte über einiges nachdenken. Also wählte er als Laufstrecke heute die Renmin Lu.
Während er seine übliche Geschwindigkeit lief und die frische Morgenluft einatmete, dachte er an den Fall Guan Hongying. Die Straße war ruhig, nur am »Ostmeer«-Möbelladen hatten sich ein paar ältere Leute zu ihren Tai-Chi-Übungen versammelt. An einer Ecke saß ein Milchmann und starrte leise vor sich hin murmelnd auf den kleinen Kasten mit Milchflaschen zu seinen Füßen; vielleicht zählte er seinen Besitz.
Es handelte sich um einen ganz normalen Mord. Selbstverständlich würde sich Hauptwachtmeister Yu nach Kräften bemühen, ihn aufzuklären, dagegen war überhaupt nichts einzuwenden; nur die Art und Weise, wie diese Ermittlungen nun betrieben wurden, gefiel ihm nicht: Politik, immer wieder diese verdammte Politik. Worin unterschied sich eine Modellarbeiterin von einer normalen Arbeiterin, wenn beide nackt und tot auf einem gefliesten Obduktionstisch lagen?
Dem vorläufigen Bericht des Kaufhauses zufolge hatte Guan zum Zeitpunkt ihres Todes keinen festen Freund. De facto schien Guan in all den Jahren keinen Partner gehabt zu haben, sie war zu beschäftigt gewesen, um eine Liebesbeziehung zu pflegen. Also mußte es sich um einen dieser üblichen Vergewaltigungs- und Mordfälle handeln.
Diesen Fall mit Politik in Verbindung zu bringen – das war für ihn einfach zu weit hergeholt.
Die Chinesen hatten in der heutigen Zeit über eine ganze Menge Dinge zu klagen: Korruption, Arbeitslosigkeit, Inflation, Wohnungsmangel, Verkehrsstaus und so weiter. Aber nichts hatte direkt oder auch nur indirekt mit Guan zu tun. Guan war zwar eine nationale Modellarbeiterin und eine politische Berühmtheit gewesen, doch in Chinas sozialistischem System würde ihr Tod nicht die geringsten Spuren hinterlassen. Wenn sogenannte Konterrevolutionäre beabsichtigten, das bestehende System zu sabotieren, hätten sie sich ein weitaus symbolträchtigeres Ziel gesucht.
Yu hatte die Nase voll vom Geschwätz des Parteisekretärs. Dennoch mußte er tun, was von ihm erwartet wurde. Es konnte ausschlaggebend sein für sein Karriereziel: Er wollte weiterkommen als sein Vater, Yu Shenglin, besser bekannt unter seinem Spitznamen »Alter Jäger«. Der alte Mann war zwar ein erfahrener und sehr fähiger Beamter gewesen, doch er war als einfacher Polizist mit einer sehr kümmerlichen Pension in die Rente geschickt worden; davon konnte er sich kaum eine Kanne Drachenbrunnen-Tee leisten.
Als Yu schnaufend und sich den Schweiß von der Stirn wischend vom Frühsport zurückkam, hatte Peiqin bereits das Frühstück zubereitet: eine Schüssel dampfender Nudelsuppe mit Rindfleisch, garniert mit einer Handvoll Zwiebelgrün.
»Das ist für dich«, sagte sie. »Es ist noch heiß. Ich habe schon mit Qinqin gegessen.«
In ihrem flauschigen Morgenrock saß sie da, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, das Kinn auf den Händen ruhend, und blickte ihn über die dampfende Schüssel hinweg an. Sie war ein paar Monate
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