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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Zeit noch die Kraft, ja nicht einmal das Interesse dazu aufgebracht. Der Fall ergab einfach keinen Sinn, jedenfalls nicht so wie in den von ihm übersetzten Krimis.
    Er wußte, er würde nicht einschlafen können. Oft war seine Schlaflosigkeit das Ergebnis einiger Kleinigkeiten, die sich nach und nach zu einem Berg auftürmten. Ein Gedicht, das ihm kommentarlos zurückgeschickt worden war, eine zornige Frau, die in einem vollen Bus vor sich hin schimpfte, ein neues Hemd, das er in seinem Schrank nicht gleich finden konnte, und schon war an Schlafen nicht zu denken. Diesmal brachte ihn der Fall Guan um seinen Schlaf.
    Es war eine lange Nacht.
    Was wohl in solchen langen Nächten in Guans Kopf vorgegangen war?
    In seinem Mund war ein bitterer Geschmack.
    Immer wieder glitt er in einen schwebenden Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Es war schon nach zwei, als er plötzlich Hunger verspürte und an das getrocknete Teigbällchen auf dem Fensterbrett denken mußte.
    Und plötzlich tauchte ein weiteres Bild auf.
    Kaviar.
    Er hatte nur ein einziges Mal in seinem Leben Kaviar gegessen, vor vielen Jahren in Peking. In dem dortigen Internationalen Freundschaftsclub waren damals nur ausländische Gäste eingelassen und bedient worden. Er hatte einen betrunkenen englischen Professor begleitet, der darauf bestanden hatte, ihn einzuladen. Chen kannte Kaviar nur aus russischen Romanen. Eigentlich schmeckte er ihm nicht einmal besonders, doch der Überseechinese Lu geriet schier aus dem Häuschen, als er hörte, was Chen gegessen hatte.
    Inzwischen hatte sich einiges verändert. Heute konnte jeder in den Internationalen Freundschaftsclub gehen, und auch in einigen der neuen Luxushotels wurde Kaviar serviert, obwohl ihn sich kaum jemand leisten konnte. Guan hätte ihn in einem dieser Hotels bekommen können. Eigentlich sollte es möglich sein, herauszufinden, wer in der fraglichen Nacht Kaviar bestellt hatte.
    Kaviar – er kritzelte das Wort auf die Rückseite einer Streichholzschachtel.
    Dann endlich hatte er das Gefühl, einschlafen zu können.

 
    10
     
    FÜR EINEN TAG IM MAI war dieser Freitagmorgen sehr schwül. Auch Hauptwachtmeister Yu hatte schlecht geschlafen und sich die halbe Nacht in seinem Bett herumgewälzt. Beim Aufstehen fühlte er sich erschöpfter als am Abend zuvor; in seinem Kopf schwirrten Reste halbvergessener Träume herum.
    Peiqin war besorgt. Sie bereitete ihm eines seiner Lieblingsfrühstücke, eine Schüssel Klebereisbällchen, und setzte sich zu ihm an den Tisch. Yu verzehrte die Bällchen schweigend.
    Als er schließlich aufstand, um ins Büro zu gehen, sagte sie: »Du arbeitest dich noch kaputt, Guangming.«
    »Nein, nein, ich habe nur schlecht geschlafen«, sagte er. »Mach dir keine Sorgen.«
    Als er in den Besprechungsraum kam, befiel ihn wieder die vertraute Unruhe. Kommissar Zhang hatte sie hereinbestellt, um mit ihnen den Stand der Ermittlungen zu erörtern.
    Es war nun eine ganze Woche verstrichen, seit die Sondergruppe den Fall übernommen hatte. Das mit einer politischen Fanfare ins Leben gerufene Team hatte kaum Fortschritte gemacht. Hauptwachtmeister Yu hatte Überstunden gemacht, unzählige Telefonate geführt, eine Reihe von Leuten befragt, alle möglichen Tathergänge mit Oberinspektor Chen besprochen und auch Kommissar Zhang zahlreiche Berichte erstattet, doch ein Durchbruch war nicht Sicht. Wenn in einem Fall nach einer ganzen Woche noch immer keine heiße Fährte aufgetaucht war, konnte man ihn genauso gut zu den ungelösten Fällen legen, das wußte Yu aus Erfahrung. Mit anderen Worten: Es war an der Zeit, sich geschlagen zu geben.
    So etwas passierte nicht zum ersten und sicher auch nicht zum letzten Mal in der Geschichte des Polizeipräsidiums.
    Yu setzte sich ans Fenster und rauchte eine Zigarette. Unter ihm breiteten sich die Straßen Shanghais aus, graue und schwarze Dächer, weiße Rauchwölkchen, die friedlich in den Himmel stiegen. Doch ihm kam es vor, als röche er das Verbrechen, das im Herzen der Stadt schwelte. Beim Überfliegen der aktuellen Meldungen las er von mehreren Raubüberfällen, einer schlimmer als der andere, und von sieben Anzeigen wegen Vergewaltigung allein in der letzten Nacht. Daneben waren neue Fälle von Prostitution gemeldet worden, sogar in den gutsituierten Stadtbezirken.
    Da die anderen Abteilungen unterbesetzt waren, hatte man einige davon als »Spezialfalle« deklariert und an ihre Gruppe verwiesen. Aber sie waren ja auch nicht wesentlich besser

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