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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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»Und das Geld für die Belohnung holen wir uns aus dem Fonds der Sondergruppe. Schließlich haben wir bereits jeden Stein umgedreht, stimmt’s?«
    Hauptwachtmeister Yu verließ schulterzuckend den Raum.
    Bis auf einen Stein, dachte Oberinspektor Chen: Guan Hongyings Mutter.
    Darüber hatte er mit Yu bislang noch nicht gesprochen, weil der nur schlecht mit dem Kommissar auskam. Kommissar Zhang hatte die alte Dame besucht, jedoch nichts aus ihr herausbekommen. Sie litt unter Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium, war also völlig verwirrt und konnte keinerlei Information liefern. Dafür konnte der Kommissar nichts. Aber vielleicht war eine Alzheimer-Patientin ja nicht ständig völlig verwirrt, vielleicht gab es Tage, an denen wie durch ein Wunder ein Lichtstrahl durch ihren umwölkten Geist drang?
    Chen beschloß, sein Glück zu versuchen.
    Nach dem Mittagessen rief er Wang Feng an, doch sie war nicht in ihrem Büro. Deshalb hinterließ er ihr eine Nachricht, in der er sich bedankte. Dann ging er los. Auf dem Weg zur Bushaltestelle erstand er in der Post auf der Sichuan Lu einige Exemplare der Wenhui-Zeitung. Die Bemerkung des Herausgebers gefiel ihm fast noch besser als das abgedruckte Gedicht. Er hatte nämlich den meisten seiner Freunde nichts über seine Beförderung zum Oberinspektor erzählt, und nun konnte er es ihnen durch die Zeitung kundtun. Auch nach Peking wollte er ein Exemplar schicken, denn dort lebte jemand, der wohl nie an eine derartige Karriere für ihn geglaubt hatte. Er überlegte kurz, dann schrieb er nur einen einzigen Satz unter das Gedicht, eine leicht ironische Selbstverteidigung, und dazu noch doppeldeutig: Wenn man hart an etwas arbeitet, beginnt es, Teil von einem selbst zu werden, auch wenn man es nicht wirklich mag und weiß, daß dieser Teil irreal ist.
    Er legte die Zeitungsseite in einen Umschlag, adressierte ihn und warf ihn in den Briefkasten.
    Danach fuhr er mit dem Bus nach Ankang zum Pflegeheim an der Huashan Lu.
    Da es selbst in den Neunzigern nicht als politisch korrekt galt, seine alten Eltern in ein Pflegeheim zu schicken, existierten nicht sehr viele dieser Einrichtungen. In Shanghai gab es höchstens drei, so daß nur wenige es schafften, einen Platz zu bekommen, vor allem, wenn es sich um Alzheimer-Patienten handelte. Zweifellos war es Guans sozialem und politischem Status zu verdanken, daß ihre Mutter aufgenommen worden war.
    Er sprach an der Pforte des Pflegeheims vor. Eine junge Krankenschwester sagte ihm, er solle im Eingangsbereich warten. Dort kam ihm in den Sinn, daß es ziemlich unangenehm ist, schlechte Nachrichten zu überbringen. Allerdings tröstete ihn der Gedanke, daß Guans Mutter als Alzheimer-Patientin den Schock über den gewaltsamen Tod ihrer Tochter vielleicht nicht so schmerzlich empfinden würde. Aus den Akten hatte er erfahren, daß das Leben der alten Frau recht hart gewesen war: Sie war als Kind von ihren Eltern verheiratet worden; ihr Mann hatte jahrelang als Lehrer in Chengdu gearbeitet, während sie in der Shanghaier Textilfabrik Nr. 6 geschuftet hatte. Um diese Entfernung zu überwinden, mußte man eine zweitägige Zugreise unternehmen, und öfter als einmal im Jahr konnte es sich ihr Mann gar nicht leisten, sie zu besuchen. In den fünfziger Jahren stand ein Wechsel des Arbeitsplatzes nicht zur Debatte. Man bekam seine Arbeit wie alles andere auch auf Lebzeiten von den lokalen Behörden zugewiesen. All die Jahre war sie also eine »alleinerziehende« Mutter gewesen und hatte sich im Wohnheim der Textilfabrik Nr. 6 allein um Guan Hongying gekümmert. Ihr Mann starb noch vor seiner Pensionierung. Als die Tochter in die Partei eintrat und ihre Arbeit aufnahm, brach die alte Frau zusammen. Kurz danach war sie in das Pflegeheim aufgenommen worden.
    Schließlich schlurfte die Alte herein. In ihren grauen Haaren steckte eine erstaunliche Anzahl von Haarnadeln. Sie war dürr, ihr Gesicht eingefallen. Chen schätzte sie auf Anfang Sechzig. Ihre Filzpantoffeln machten ein merkwürdiges Geräusch auf dem Boden.
    »Was wollen Sie von mir?«
    Chen tauschte einen Blick mit der Krankenschwester neben der Alten.
    »Sie ist nicht ganz klar hier«, sagte die Schwester und deutete auf ihren eigenen Kopf.
    »Ihre Tochter läßt Ihnen einen schönen Gruß ausrichten«, sagte Chen.
    »Ich habe keine Tochter. Kein Platz für eine Tochter. Mein Mann lebt in einem Wohnheim in Chengdu.«
    »Sie haben eine Tochter, Tante. Sie arbeitet im Kaufhaus Nr. 1 hier in

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