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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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erübrigen können. Wann brauchen Sie es denn?«
    »Na ja, so rasch wie möglich.«
    »Ich rufe Sie an.«
    »Ich bin in der Bibliothek, geben Sie mir per Handy Bescheid.«
    Er kehrte zu seiner Lektüre zurück. In den nächsten zwanzig Minuten kam ihm jedoch keine einzige Zeitschrift mit einem Foto von Wu unter, und auf den nächsten Stapel mußte er wieder warten. Er begann, etwas anderes zu lesen: eine Sammlung von Bian Zilins Gedichten, einem brillanten chinesischen Modernisten, der eigentlich weitaus mehr Beachtung verdient hätte. Ein kurzes Gedicht mit dem Titel »Fragment« gefiel Chen ganz besonders gut. Indem du die Szene durchs Fenster betrachtest, / betrittst du der fremden Szene Raum. / Der Mond ziert dein Fenster, / du zierst eines anderen Traum. Dieses Gedicht hatte er zum erstenmal in der Pekinger Stadtbibliothek gelesen, zusammen mit einer Freundin. Eigentlich handelte es sich um ein Liebesgedicht, doch daneben sollte es auch noch etwas anderes zum Ausdruck bringen, nämlich die Relativität aller Dinge in dieser Welt.
    Plötzlich klingelte sein Handy. Mehrere Bibliotheksbesucher starrten ihn an. Er eilte auf den Gang, um Wang zurückzurufen. »Haben Sie schon etwas für mich?«
    »Ja, ich habe beim Fotografenverband angerufen. Als Mitglied muß Wu Xiaoming dort alle seine Veröffentlichungen melden.«
    »Daran hätte ich auch denken können«, sagte er.
    »Zu schade, daß ich keine Kriminalbeamten bin«, sagte sie. »So eine wie die süße Kleine in diesem französischen Film. Wie hieß sie doch gleich? Mimi oder so. Und wie kommen Sie nun an meine Liste?«
    »Ich könnte bei Ihnen im Büro vorbeischauen.« »Nein, das brauchen Sie nicht. Ich bin gerade auf dem Weg zu einer Fabrik im Bezirk Yangpu. An der Beijing Lu muß ich in den Bus Nr. 61 umsteigen. Wenn nicht zuviel Verkehr ist, bin ich in etwa einer Dreiviertelstunde dort. Wir könnten uns an der Bushaltestelle treffen.«
    »Wie weit ist es denn von dort aus zur Fabrik?« »Das wird wohl weitere fünfzig Minuten dauern.« »Gut, dann sehen wir uns an der Haltestelle.« Chen wählte die Nummer des Fuhrparks im Polizeipräsidium. Es war das erstemal, daß er sich im Verlauf seiner Ermittlungen dieses Privilegs bediente.
    Der Kleine Zhou war am Telefon. »Genosse Oberinspektor Chen«, sagte er, »Sie nutzen unseren Service ja so gut wie nie. Wenn alle so wären wie Sie, würden wir hier unsere Arbeitsplätze verlieren.«
    Der Kleine Zhou war ein früherer Kollege des Überseechinesen Lu. Er hatte sich Anfang des Jahres um die Stelle im Präsidium beworben, und Oberinspektor Chen hatte ein Wort für den Freund seines Freundes eingelegt. Doch nicht aus diesem Grund zögerte Chen, einen Wagen aus dem Fuhrpark zu nutzen. Theoretisch standen diese Wagen ausschließlich hohen Kadern für offizielle Anlässe zur Verfügung. Als Oberinspektor hatte Chen Anspruch auf einen Wagen, und bei den endlosen Staus, in denen auch die Busse nur im Schneckentempo vorankamen, konnte dieses Privileg durchaus nützlich sein. Doch Chen wußte, daß sich die Leute darüber beschwerten, daß die hohen Kader die Autos für alle möglichen Privatangelegenheiten nutzten. Allerdings fühlte er sich dieses eine Mal wirklich berechtigt, um ein Auto zu bitten.
    »Ich weiß, daß ihr viel zu tun habt, und ich belästige andere wirklich ungern, wenn es nicht unbedingt sein muß.«
    »Aber Genosse Oberinspektor, das ist doch keine Belästigung! Ich werde mich darum kümmern, daß Sie das schönste Auto bekommen, das heute zur Verfügung steht.«
    Und tatsächlich stand bald darauf ein 560er Mercedes vor dem Eingang der Bibliothek.
    »Polizeichef Zhao ist auf einer Versammlung in Peking«, sagte der Kleine Zhou und hielt Chen die Tür auf. »Warum also nicht den Mercedes nehmen?«
    Als sie zur Bushaltestelle an der Beijing Lu kamen, bemerkte Chen ein überraschtes Lächeln auf Wangs Gesicht. Sie trat aus der Schlange der wartenden Fahrgäste, von denen einige in der Hocke saßen und andere sie mit unverhohlenem Neid anstarrten.
    »Kommen Sie«, sagte er und winkte ihr aus dem offenen Fenster zu. »Wir fahren Sie zur Fabrik.«
    »Sie haben es ja wirklich weit gebracht«, sagte sie und machte es sich mit ihren langen Beinen in dem geräumigen Wagen bequem. »Jetzt haben Sie sogar einen Mercedes.«
    »Na ja, soweit auch wieder nicht.« Erklärend wandte er sich an den Kleinen Zhou. »Genossin Wang Feng arbeitet als Reporterin für die Wenhui-Zeitung. Sie hat eine wichtige Liste für uns

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