Qiu Xiaolong
wohl nie gewinnen können. Sie war nicht die Art von Frau, die ich langfristig glücklich hätte machen können, und dann wäre ich selbst auch nicht glücklich gewesen. Aber auf ihre Weise war sie eine wunderbare Frau.
Yu: Hat sie denn bei ihrem Abschied sonst noch etwas gesagt?
Lai: Nein, sie sagte nur immer wieder, es sei ihre Schuld. Sie bot mir sogar noch an, in jener Nacht bei mir zu bleiben. Aber das wollte ich nicht.
Yu: Warum denn nicht?
Lai: Wenn einen das Herz einer Frau verlassen hat, warum sollte man dann ihren Körper noch einmal besitzen wollen?
Yu: Ich verstehe, und ich denke, Sie haben recht. Haben Sie denn nach jenem Abend noch einmal versucht, mit ihr in Kontakt zu treten?
Lai: Nein, nicht nach unserer Trennung.
Yu: Irgendeine Art von Kontakt – Briefe, Postkarten, Anrufe?
Lai: Warum sollte ich? Schließlich war ich doch der Verlassene. Außerdem wurde sie immer berühmter, immer wieder sah ich Großaufnahmen von ihr in den Zeitungen. Ihrem Image als nationale Modellarbeiterin konnte ich gar nicht entkommen.
Yu: Der männliche Stolz, das männliche Ego, ich verstehe. Dieses Gespräch ist Ihnen sicher nicht leichtgefallen, Genosse Lai, aber Sie waren uns wirklich eine sehr große Hilfe. Vielen Dank.
Lai: Werden Sie meine Informationen auch wirklich vertraulich behandeln? Ich bin inzwischen verheiratet, und meine Frau weiß nichts von der Geschichte.
Yu: Selbstverständlich, das habe ich Ihnen doch anfangs schon versichert.
Lai: Wenn ich an Guan denke, bin ich noch heute verwirrt. Ich hoffe, Sie werden den Mörder fassen. Ich glaube, ich werde Guan nie vergessen können.«
Danach war es eine Weile still. Offenbar war das Gespräch beendet. Dann war noch einmal Yus Stimme zu hören:
»Genosse Oberinspektor Chen, ich fand den Ingenieur Lai Guojun durch Huang Weizhong, den pensionierten Parteisekretär des Kaufhauses Nr. 1. Huang zufolge informierte Guan das Parteikomitee über ihre Beziehung zu Lai. Daraufhin zog das Parteikomitee Erkundigungen über Lai ein und stellte fest, daß Lai einen Onkel hatte, der in der Zeit der Landreformen als Konterrevolutionär hingerichtet worden war. Das Parteikomitee drängte sie, die Beziehung zu beenden. Als aufstrebende Modellarbeiterin und als Parteimitglied sei es für sie politisch nicht korrekt, sich mit einem Mann einzulassen, in dessen Familie es derartige Belastungen gebe. Sie willigte ein, berichtete Huang jedoch erst zwei Monate später von ihrer Trennung, wobei sie die näheren Umstände nicht erläuterte.
Ich sammle jetzt noch ein paar Informationen zu Lai, aber ich glaube nicht, daß man ihn zu den Tatverdächtigen rechnen muß. Schließlich ist das Ganze viele Jahre her. Tut mir leid, daß ich heute morgen nicht im Büro sein kann. Qinqin ist krank, ich muß ihn ins Krankenhaus bringen, aber spätestens um halb drei bin ich wieder zu Hause. Rufen Sie mich an, wenn Sie noch etwas von mir brauchen.«
Chen schaltete das Gerät aus. Er lehnte sich zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es wurde schon wieder sehr heiß. Er schenkte sich ein Glas kaltes Wasser ein.
Oberinspektor Chen hatte nie an die mythische Verkörperung der Selbstlosigkeit durch die Kommunistische Partei geglaubt, wie sie der Genosse Lei Feng zum Ausdruck gebracht hatte. Plötzlich überkam ihn eine Welle der Traurigkeit. Es ist doch wirklich absurd, dachte er, wie die Politik ein Leben beeinflußte. Wenn Guan Lai geheiratet hätte, wäre sie in ihrem politischen Leben natürlich niemals so erfolgreich gewesen. Sie wäre keine nationale Modellarbeiterin gewesen, sondern eine ganz normale Ehefrau: Sie hätte ihrem Mann Pullover gestrickt, auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads Propangasflaschen heimgekarrt, beim Einkaufen auf dem Markt um jeden Pfennig gefeilscht, genölt wie ein altes Grammophon, mit ihrem hübschen Kind auf dem Schoß gespielt. Aber sie hätte gelebt.
Anfang der neunziger Jahre wirkte Guans Entscheidung völlig absurd, doch Anfang der Achtziger wäre sie verständlich gewesen. Damals war jemand wie Lai mit einem konterrevolutionären Verwandten einfach abgeschrieben. Lai hätte den ihm Nahestehenden nur Ärger gebracht. Chen dachte an seinen eigenen »Onkel«, einen entfernten Verwandten, den er nie kennengelernt hatte, der aber die Ursache war für seinen Beruf.
Die Entscheidung des Parteikomitees des Kaufhauses Nr. 1 war zwar hart, jedoch zu Guans Bestem gewesen. Als nationale Modellarbeiterin hatte Guan ein Leben führen müssen, das
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