Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
Gefühl für Poesie
besitzt wie ich.«
»Pah!« sagte Millie. »Es gab einmal
eine junge Frau namens Puck ...«
»Hört auf!« rief Polly streng.
Die kleine Glocke über der Tür
läutete, als ein Mann eintrat, den Hut tief ins Gesicht gezogen und einen Sack
über der Schulter, den er neben dem Ofen absetzte. Er mußte einer der neuen
Arbeiter sein, die vorhin angekommen waren, aber irgend etwas an ihm erschien
Polly merkwürdig vertraut.
Dann nahm er seinen Hut ab, und
Polly erkannte das dichte, kastanienbraune Haar wieder, die respektlosen grünen
Augen und das etwas schiefe und doch so unglaublich charmante Lächeln. Sie
spürte, wie das Blut aus ihren Wangen wich.
»Hallo, Polly«, sagte er.
Polly umklammerte die Thekenkante.
Es war Nat Malachi, der vor ihr stand, der Mann, der sie verführt hatte, als
sie noch ein unschuldiges, unwissendes junges Mädchen gewesen war. Der Mann,
der sie nach San Francisco gebracht und sie gelehrt hatte, anständige Männer
wie Devon zu betrügen und zu. täuschen. Der Mann, von dem sie gehofft hatte,
daß sie ihn außer in ihren Alpträumen nie wieder sehen würde.
Millie und Charlotte starrten den
Fremden neugierig an. Sie schienen gemerkt zu haben, welche Verwirrung er bei
ihrer Tante ausgelöst hatte, obwohl sie sich die größte Mühe gab, ruhig und
gelassen zu erscheinen.
»Ihr lauft jetzt besser nach Hause,
Kinder«, sagte Polly mit ungewöhnlich schriller Stimme. »Der Regen scheint
etwas nachgelassen zu haben, und wer weiß, wie lange das so bleibt.«
»Sie hat recht«, meinte Millie zu
Charlotte. »Lydia wird uns bei lebendigem Leibe häuten, wenn wir morgen unsere
Hausaufgaben nicht fertig haben!«
Nat, der die ganze Zeit geschwiegen
hatte, lächelte die beiden Mädchen an.
Als sie hinausgelaufen waren, begann
Polly ihren warmen, gemütlichen Laden wie eine kalte, düstere Höhle zu
empfinden, die sie zu verschlingen drohte.
»Was willst du?« fragte sie, während
sie das Gewehr, das Brigham ihr gegeben hatte, von seinem Platz unter der Theke
nahm und es entsicherte.
Nat lachte. »Was ist das für eine
Begrüßung nach so langer Trennung?« erkundigte er sich gedehnt und machte
Anstalten, um die Theke herumzugehen.
Polly richtete den Gewehrlauf auf
seinen Hals. »Komm mir nicht zu nahe, Nat!« warnte sie. »Ich bin jetzt
verheiratet, ganz legal, und werde mein Gelübde respektieren.« Er zog sich langsam
zurück, hob beide Hände in Schulterhöhe und grinste nachsichtig. Dann schaute
er sich anerkennend in dem gutbestückten Laden um. »Du hast dir ein feines
Nest gesucht. Ich kann es dir nicht übelnehmen, daß du das nicht gefährden
willst.«
Das Zittern in Pollys Armen und
Beinen ließ ein wenig nach, und sie befeuchtete ihre spröden Lippen. »Das
Postboot wird eine Stunde im Hafen liegen«, sagte sie. »Wenn es wieder ausläuft,
will ich dich an Bord sehen.«
»Wir können im Leben nicht immer
haben, was wir uns wünschen, Polly«, entgegnete Nat mit gespielter Wehmut.
»Das müßtest du doch inzwischen schon selbst erkannt haben.«
Polly starrte den Mann an, den sie
einst zu lieben geglaubt hatte; den Mann, der sie so schamlos ausgenutzt hatte.
»Du hast hier nichts verloren«, erwiderte sie. Ihre Hände, die das Gewehr
hielten, begannen zu schwitzen. »Diese Stadt hier ist viel zu langweilig und
anständig für jemanden von deiner Sorte.«
Wieder lachte er, und ein frischer
Regenschauer schlug gegen die Fenster. Ein paar Tropfen fielen in den Kamin und
verdampften zischend auf der heißen Glut. »Wo ist er?« fragte Nat und verschränkte
die Arme. »Dein feiner, anständiger Ehemann, meine ich.«
Polly schluckte. »Das geht dich
nichts an. Aber falls Devon dich hier erwischt — und du kannst sicher sein, daß
ich ihm sagen werde, wer du bist — wird er dich am nächstbesten Baum aufhängen.«
»Du lügst«, entgegnete Nat
nachsichtig. »Ich habe die ganze Geschichte in Seattle gehört — du hast ihm
gesagt, daß er nicht der erste war, und in einem Anfall selbstgerechten Zorns
ist er dir davongelaufen. So war es doch, nicht wahr, mein Liebling?«
Es kostete Pollys ganze Kraft, sich
nicht wie eine Wildkatze, die ihre Brut verteidigt, auf Nat zu stürzen und ihm
die Augen auszukratzen. »Er wird zurückkehren«, sagte sie und wunderte sich
selbst über die ruhige Überzeugung, die in ihrer Stimme mitklang.
»Und wenn er durch diese Tür tritt,
wirst du hier sein und auf ihn warten«, entgegnete Nat höhnisch. »Vergiß es,
Polly, denn das
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