Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
wurde eng. Sie glaubte,
wieder ihren Vater zu hören, wie er Bibelverse zitierte: Du wirst die
Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird dich befreien. In diesem Fall
hatte die Wahrheit jedoch höchstens Devon befreit, während sie, Polly,
vielleicht für immer ihre Gefangene blieb.
»Möchtest du, daß ich gehe?« fragte
sie nach quälendem Schweigen.
Devon betrachtete die
Sonnenstrahlen, die sich auf dem Wasser spiegelten, und obwohl seine Stimme
sehr leise war und er sich nicht zu ihr umdrehte, hörte Polly seine Worte klar
und deutlich: »Ich werde dir die Schiffspassage nach San Francisco bezahlen.«
Zuerst war es ihr Vater gewesen, der
sämtliche Entscheidungen in ihrem Leben getroffen hatte, dann Nat Malachi, und
nun Devon. Polly war des Gehorchens müde, aber sie wußte nicht, wie sie sich
verhalten sollte. Für einen Moment wünschte sie, wie Lydia McQuire zu sein,
tapfer, mutig und entschlossen.
»Ich kehre nicht nach San Francisco
zurück«, erklärte sie entschieden und überraschte damit sich selbst mindestens
so sehr wie Devon. »Da ich hier jedoch offensichtlich nicht erwünscht bin,
werde ich das nächste Postschiff nach Seattle nehmen. Dort dürfte es nicht
schwer sein, einen guten Ehemann zu finden. Ich hörte, daß in dieser Stadt ein
beträchtlicher Frauenmangel herrscht.«
Sie sah, wie Devon die Fäuste
ballte, und erlebte einen flüchtigen Moment der Befriedigung; als er
aufsprang, schwankte sie zwischen Furcht und hoffnungsvoller Spannung.
Aber Devon kam nicht zu ihr, um sie
an den Schultern zu packen und ihr zu verbieten, ihn zu verlassen. Er nahm sich
sichtlich zusammen, und um sein Kinn erschien ein harter, fast brutaler Zug.
»Dann geh«, sagte er. »Alles Gute.«
»Devon ...«
Wortlos wandte er sich ab.
Pollys Seele schien zu schrumpfen;
sie ging einen Schritt auf Devon zu und hielt dann inne. Er war ihr Mann, ihr
Lebensgefährte, trotz der ungültigen Trauung; mit ihm hatte sie erfahren, was
es heißt, zu lieben und geliebt zu werden. Doch das war jetzt vorbei, sie mußte
aus ihrem Traum erwachen.
Wie gern hätte sie Kinder von diesem
Mann gehabt und ihm den Rücken und die Füße massiert, wenn er müde von der
Arbeit nach Hause kam; wie gern hätte sie mit ihm gelacht, wenn er einen Scherz
machte, und mit ihm geweint, wenn er traurig war ... Aber all das blieb ihr nun
verwehrt, diese süßesten aller Freuden, was sie nur ihrer eigenen Dummheit und
ihren Lügen zuzuschreiben hatte.
»Es tut mir leid«, sagte sie, so
leise, daß sie nicht sicher war, ob er sie gehört hatte.
Polly kehrte in das große Haus auf
dem Hügel zurück und in das Zimmer, wo sie mit Devon gelegen und in seinen
Armen eine nie gekannte Ekstase erfahren hatte. Sie zog ihren goldenen Ehering
vom Finger, legte ihn neben Devons Haarbürste auf die Kommode und begann, die
wenigen Sachen einzupacken, die sie ihr eigen genannt hatte, bevor sie dem Mann
begegnete, den sie immer als ihren Gatten betrachten würde.
Als Polly vor dem großen Spiegel
über der Kommode stand, sah sie nicht sich selbst, sondern das Bett hinter
sich. Niemals wieder — was immer das Leben ihr auch abverlangen mochte — würde
sie mit einem anderen Mann das Bett teilen, sie würde nicht mehr heiraten und
sich auch keinen Liebhaber nehmen. Und niemals würde sie ihren Körper für Geld
verkaufen, denn sie war ganz sicher, nicht einmal die flüchtigste Berührung
eines anderen Mannes als Devon ertragen zu können.
Das Postboot legte gegen Mittag an,
und Polly war am Hafen. Natürlich hatte sie bis zuletzt gehofft, daß Devon
erscheinen und sie an der Abreise hindern würde, aber er war nirgendwo zu
sehen, und selbst über das Dröhnen der Schiffsmotoren hörte sie in der Ferne
das beständige Klopfen seines Hammers. Im Gegensatz zu ihr hatte er noch einen
Traum, den er verfolgen konnte.
»Es wäre unklug, davonzulaufen«,
bemerkte Lydia hinter ihr.
Polly war so erschrocken, daß sie
fast ins Wasser gefallen wäre. »Ich bin nicht so tapfer und stark wie du«,
erwiderte sie würdevoll.
»Unsinn«, antwortete Lydia ohne den
Anflug eines Lächelns. »Natürlich bist du stark. Du mußt es sein; es bleibt dir
nichts anderes übrig.«
»Devon will mich nicht mehr«, sagte
Polly mit gesenktem Blick. Seit sie auf das Postboot wartete, war ihr mehrmals
die Idee gekommen, sich einfach ins Wasser zu stürzen und darauf zu warten, daß
sie ertrank, aber ein letzter Rest innerer Kraft hatte sie daran gehindert.
Doch das war nicht alles — auch
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