Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
weiß Charlotte denn über
Harems?«
»Eine Menge, fürchte ich«, bekannte
Millie mit wichtigtuerischer Miene, die sie auf komische Weise ihrem Vater
ähneln ließ. »Vieles davon hat sie sich natürlich ausgedacht.« »Natürlich«,
stimmte Lydia zu.
Sie war froh, daß die Küche leer und
Jake nicht anwesend war. Zielstrebig pumpte sie Wasser in Töpfe und Kessel und
stellte sie auf den Herd. Dann schürte sie das Feuer und ging zu einem der
Schuppen hinaus, in dem sie einen Waschzuber gesehen hatte.
Millie plauderte munter, während
Lydia das Wasser erhitzte. »Wird Charlotte heute auch ein Bad nehmen?« fragte
sie gespannt.
Lydia zog eine Augenbraue hoch, und
im gleichen Augenblick hörte sie das schrille Tuten des auslaufenden
Postboots.
Eine überwältigende Trauer überfiel
sie beim Gedanken an Pollys und Devons Unglück. »Nur wenn Charlotte sich wie
eine Wilde angemalt hat und den ganzen Nachmittag durchs Unterholz gekrochen
ist.«
Als das Wasser warm genug war, half
Lydia Millie beim Entkleiden, und gehorsam stieg die Kleine in die Wanne.
»Normalerweise«, meinte Millie,
»bade ich nur samstags abends. Und manchmal muß ich Charlottes Wasser
benutzen.«
Wieder tutete das Postboot, und
Lydia schloß gequält die Augen.
»Polly ist fort, nicht wahr?« fragte
Millie. »Wird sie wiederkommen?«
Lydia suchte Millies Haar sorgfältig
nach Läusen ab, bevor sie es einschäumte. »Ich weiß es nicht«, sagte sie
schließlich und reichte Millie die Seife. »Hier, Pocahontas. Wasch dein Gesicht.«
»Ich werde sie nicht vermissen«,
erklärte Millie mit der rücksichtslosen Offenheit der Jugend. »Sie war sowieso
die meiste Zeit in ihrem Zimmer. Wie Tante Persephone.«
Lydia hatte die alte Dame über all
den Aufregungen fast vergessen. »Vielleicht ist deine Tante krank«, meinte sie
besorgt.
Millie stand auf, und Lydia reichte
ihr ein Handtuch aus schwerem Damast. Es erstaunte sie immer wieder, über wie
viele solch kleiner Luxusgegenstände
dieses abgelegene Haus verfügte, und sie fragte sich, ob dies der Fürsorge von
Brighams verstorbener Frau zu verdanken war oder Tante Persephone.
»Nein«, sagte Millicent, während sie
sich abtrocknete. »Tante Persephone ist nicht krank. Sie versteckt sich bloß
vor Charlotte und vor mir. Wir ermüden sie und verursachen ihr Migräne.«
»Das bezweifle ich nicht«,
entgegnete Lydia nüchtern. »Ich werde nach ihr sehen, sobald du angezogen
bist.« Sie drohte Millie mit dem Zeigefinger, als das Kind in das Handtuch
eingewickelt auf die Treppe zuging. »Und falls du wieder einmal Indianer
spielst, Millie, sei bitte ein sauberer Wilder mit friedlichen Absichten.«
Es verwunderte sie nicht, daß Millie
darauf nichts erwiderte.
Lydia leerte die Wanne und brachte
sie in den Schuppen zurück, bevor sie sich auf den Weg zu Tante Persephones Zimmer
machte.
Vor der Tür zögerte sie, schwankte
zwischen Besorgnis und einem gewissen Widerstreben, sich in anderer Leute
Angelegenheiten einzumischen. Doch ihre Besorgnis siegte, und Lydia klopfte
an.
»Herein«, rief eine schwache Stimme.
Tante Persephone ruhte, ein feuchtes
Tuch auf der Stirn, auf einem Diwan. Die Vorhänge an den Fenstern waren
zugezogen, ein schwacher Lavendelduft erfüllte den Raum.
»Mistress Chilcote?«
Eine blasse Hand bewegte sich zu dem
feuchten Tuch. »Ja? Wer ist da?«
Lydia unterdrückte ein Lächeln. Sie
hatte genug echte Krankheiten gesehen, um eine eingebildete Kranke zu
erkennen. »Ich bin's, Lydia«, erwiderte sie und nahm Tante Persephones Hand.
»Ich wollte nur sehen, ob Sie etwas brauchen.«
Mistress Chilcote nahm das Tuch von
ihrer Stirn und schaute blinzelnd zu Lydia auf. Ihr Gesicht war rosa
angehaucht, ihre Augen glitzerten, aber nicht vor Fieber, sondern vor unterdrückter
Energie. »Ich glaube, Ihnen kann ich nichts vormachen«, sagte sie. »Es wäre
also sinnlos, das Theater weiter aufrechtzuerhalten.«
Diesmal unterdrückte Lydia ihr
Lächeln nicht und setzte sich auf die Kante des Diwans, als Mistress Chilcote
sich aufrichtete.
»Irgend etwas muß Sie aber
belasten«, entgegnete Lydia ruhig. »Sonst würden Sie sich nicht in diesem
dunklen Raum verbergen.«
Mistress Chilcote seufzte, griff
nach einem Parfümflakon und betupfte ihre Handgelenke mit Lavendelwasser. »Ich
wollte Ihnen nur Gelegenheit geben, sich unentbehrlich zu machen«, sagte sie.
»Sie ahnen ja nicht, Miss McQuire, wie sehr diese Familie. Sie braucht!«
Lydia liebte es, gebraucht zu
werden, doch es
Weitere Kostenlose Bücher