Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
Arbeitstag und der Begegnung mit Brigham,
schlief Lydia ein.
Als sie erwachte, dämmerte es
bereits. Gähnend hob Lydia das Kätzchen auf, das an ihrer rechten Wange
schlief, und setzte es vorsichtig auf den Boden.
Sie hatte nicht vorgehabt zu
schlafen; sie mußte sich etwas zu essen zubereiten, Wasser für ein Bad erhitzen
und den Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten. Falls ihr dann noch Zeit
blieb, wollte sie die beiden Frauen suchen, die nachmittags mit dem Dampfschiff
angekommen waren, und sie willkommen heißen.
Seufzend schwang sie die Beine über
die Bettkante. Hoffentlich sind diese beiden Frauen unverheiratet, dachte sie,
damit wenigstens einige meiner Verehrer sich ihnen zuwenden ...
Nachdem sie einen Kessel mit Wasser
aufgesetzt hatte, kochte sie sich eins der Eier, die Jake Feeny ihr gebracht
hatte, und bräunte eine Scheibe Toast in einer kleinen Pfanne. Noch ein Glas
Milch, und ihre abendliche Mahlzeit war komplett.
Lydia hatte sie gerade beendet, als
es an der Tür klopfte.
Ihr Herz machte einen Sprung. Sie
war nicht in Stimmung für eine weitere Begegnung mit Brigham Quade, und
außerdem schickte es sich nicht, daß er sie besuchte. Die Leute würden glauben,
daß sie seine Mätresse war, eine ausgehaltene Frau ...
»Wer ist da?« rief sie mit
unsicherer Stimme und bereit, Brigham fortzuschicken. Und wenn es tausendmal sein Haus war und seine Stadt! Schließlich war es ihr guter Ruf,
der auf dem Spiel stand.
»Joseph! Ich wollte Sie besuchen,
Lydia. Ich dachte, wir könnten vielleicht eine Weile auf der vorderen Veranda
sitzen.«
Lydias Erleichterung war fast so
überwältigend wie ihre Enttäuschung. Sie zwang sich zu einem Lächeln und
öffnete die Tür. »Hallo, Joseph. Möchten Sie nicht eintreten?«
Er überreichte ihr einen kleinen
Strauß aus Butterblumen und wilden Veilchen, und wieder fragte Lydia sich fast
verzweifelt, warum sie sich nicht in diesen sanften, galanten Mann verlieben
konnte.
»Nein, das könnte Anstoß erregen«,
entgegnete er mit leisem Vorwurf. »Wir müssen an Ihren guten Ruf denken, meine
Liebe.«
Lydia seufzte. Wieviel einfacher
wäre alles gewesen, wenn auch Brigham sich um Kleinigkeiten wie wilde Veilchen
oder Anstandsregeln geschert hätte! Mit einem Lächeln trat sie auf die Veranda
hinaus, um Josephs Blumen anzunehmen, und dann setzten sie sich zusammen auf
die Eingangsstufen.
»Wie geht es Devon?«
»Schlecht«, antwortete Joseph
seufzend. »Er macht Mrs. Quade das Leben zur Hölle.«
»Dafür verdient er, ausgepeitscht zu
werden!« versetzte Lydia mit schwesterlicher Entrüstung. »Polly hat einen
Fehler gemacht, das sehe ich ein, aber sie liebt Devon, und er liebt sie.
Hoffentlich sieht er das ein, bevor es zu spät ist und das Baby ...« Sie brach
ab, entsetzt, daß sie Pollys Geheimnis verrate hatte.
»Weiß Devon Bescheid?« fragte Joseph
nach langer Pause.
Diesmal zögerte Lydia nicht, zu
antworten. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Polly Devon etwas so
Wichtiges vorenthalten hatte, trotz ihrer Angst vor seiner Reaktion. »Er muß
es wissen. Polly blieb nichts anderes übrig, als es ihm zu sagen.«
Der Doktor erwiderte nichts darauf.
Fünfzehn
Nachdem eine weitere Woche vergangen war,
hegte Polly keinen Zweifel mehr, daß sie ein Kind unter dem Herzen trug.
Morgens litt sie unter heftiger Übelkeit, und nachmittags war sie regelmäßig so
erschöpft, daß sie sich auf einer Couch in Devons Zimmer hinlegen mußte. Und
nachts fand sie aus Angst und Sorge keinen Schlaf.
Die meiste Zeit ignorierte Devon
sie, obwohl er sich nach Besuchen von Lydia ganz besonders launisch zeigte.
Körperlich jedoch ging es ihm jeden Tag besser, und er begann allmählich
aufzustehen und sich mit Hilfe einer Krücke zu bewegen.
Polly, die in einem Sessel am Kamin
kauerte, wußte, daß das Unvermeidliche nicht länger hinauszuschieben war. Bald
schon würde Devon nicht mehr an sein Zimmer gefesselt sein und es viel leichter
haben, ihr aus dem Weg zu gehen.
»Devon«, sagte sie in einem
entschiedenen Ton, der ihren ganzen Mut erforderte.
Er stand am Fenster, nur mit einer langen
Unterhose bekleidet und auf die Krücke gestützt, die einer von Brighams Männern
aus einem robusten Kiefernast für ihn angefertigt hatte.
Pollys Herz weitete sich vor
Zärtlichkeit, als sie den Vater des Kindes, das in ihr heranwuchs, ansah, den
Mann, der für sie immer ihr Gatte bleiben würde, selbst wenn er sich dazu entschließen
sollte, sie zu
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