Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
Ihr war
ganz schwindlig vor Erschütterung und Schock, und nicht einmal die Tatsache,
daß Polly und Brigham nicht das Bett miteinander teilen würden, bedeutete einen
Trost für sie. Brigham war ein gesunder, vitaler Mann und Polly eine schöne
Frau. Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis Brigham seine ehelichen Rechte
forderte.
»Was ist mit Devon?« fragte Lydia,
als sie endlich Worte fand.
Polly bückte sich und hob die
Kartoffel auf. Eine Träne rollte über ihre Wange und tropfte in ihr Mieder.
»Devon verläßt Quade's Harvor. Er glaubt, es wäre nicht sein Kind.« Sie wandte
den Kopf ab und wirkte so verzagt, daß Lydia ihr nicht zürnen konnte. »Ich ...
ich hätte Brighams Antrag nie angenommen«, schloß Polly leise, »wenn du nicht
so eindeutig klargestellt hättest, daß du ihn nicht als Gatten willst.«
Lydias Einstellung und ihre Haltung
erfuhren eine Kehrtwendung in diesem Augenblick. Sie liebte Brigham Quade, so
überheblich und starrsinnig er auch war, und der Rest ihres Lebens erstreckte
sich ohne ihn trüb und einsam vor ihr. Sie wünschte jetzt, seinen Antrag
angenommen und den Versuch, seine Liebe zu gewinnen, für später aufgeschoben zu
haben.
»Ich verstehe«, sagte sie leise.
Polly stand auf und strich ihre
Röcke glatt. »Ich bin nicht so stark wie du, Lydia. Ich würde meinen Weg in
dieser Welt nicht allein schaffen, nicht mit dem Kind, für das ich sorgen
müßte.«
Lydia brachte kein Wort über die
Lippen; sie konnte nur nicken. Doch kaum hatte sich das Tor hinter Polly
geschlossen, begannen die Tränen ungehindert über Lydias Wangen zu strömen.
In jener Nacht fand Lydia weder
Trost noch Schlaf. Weinend lief sie durch das Haus, an ihren Rocksäumen das
besorgte Kätzchen, das nicht verstand, was mit seiner Herrin vorging. Am
Morgen, obwohl ihre Augen rot und geschwollen waren und ihre Stimme heiser war,
gab Lydia Unterricht wie immer.
Am Nachmittag traf Joseph McCauley
mit dem Postboot ein und kam sofort zu Lydia, ein strahlendes Lächeln im
Gesicht und die Arme voller Päckchen.
Es war ihr gelungen, den Kindern
vorzumachen, daß der Ginster, der jetzt überall blühte, ihre Nase und ihre
Augen reizte, aber Joe wußte die Spuren von Tränen zu erkennen, wenn er sie
sah. Er brach seine eigene Anstandsregel und führte Lydia ins Haus, wo er sie
sanft auf einen Stuhl drückte und ihr die Päckchen in den Schoß legte.
Dann hockte er sich vor sie hin.
»Brigham?«
Sie zog die Nase hoch und nickte
kläglich. »Er wird Polly heiraten. Damit ihr Kind nicht unehelich zur Welt
kommt.«
Joe strich Lydia eine Locke aus der
Stirn. »Hat er es Ihnen selbst gesagt?« Sie schüttelte den Kopf und drängte
eine neue Flut von Tränen zurück. »Nein, er hat mir kein Wort gesagt, der
Feigling. Er ist nach Seattle geritten, um einen Prediger zu holen. Er wird die
Trauung vollziehen lassen, Joe l«
»Vielleicht sollten Sie lieber zu
Brig gehen und ihm sagen, wie Sie sich fühlen«, schlug Joe leise vor. Es war
offensichtlich, daß er Lydia sehr gern hatte. Doch anscheinend bedeutete ihm
ihr Glück mehr als sein eigenes.
Lydia dachte daran, wie sie Brighams
Anträge abgewiesen hatte; im Nachhinein empfand sie ihr Verhalten als dumm und
überheblich, vor allem wenn sie bedachte, daß sie Brigham schon geliebt hatte,
bevor er ihr die Ehe anbot. »Das kann ich nicht, Joe«, antwortete sie. »Brigham
Quade ist ein Mensch, der durch nichts von einem einmal gefaßten Vorhaben
abzubringen ist.« Sie schaute ihren Freund verständnisheischend an. »Und was
würde aus Polly werden? Und aus ihrem unschuldigen kleinen Baby?«
Joseph streichelte Lydias Kinn. »Das
Leben stellt uns vor eine Menge harter Entscheidungen«, erwiderte er schroff,
doch dann erhellte ein Lächeln sein Gesicht, und er ergriff Lydias Hände und
drückte sie. »Ich habe mein Darlehen bekommen und werde jetzt ein Haus und eine
kleine Praxis bauen. Auf dem Grundstück neben dem Haus, in dem die Holzmetz
leben.«
Lydia lächelte unter Tränen und
küßte Joe auf die Stirn. »Das ist wunderbar«, sagte sie, froh, daß er sie nicht
drängte, sich ihm zuzuwenden, weil Brigham nun für immer für sie verloren war.
»Öffnen Sie die Päckchen«, sagte er
heiser.
Lydia trocknete ihre Tränen an ihrem
Ärmel und wickelte das erste der Geschenke aus seinem braunen Packpapier. Es
war ein wunderschön gebundenes Buch mit Kurzgeschichten und Gedichten. Das
nächste Päckchen enthielt einen Spiegel mit kunstvoll gehämmertem
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