Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
Silberrahmen,
und das letzte einen herrlichen Schal aus gehäkelter, türkisfarbener Seide.
»Und all diese wundervollen Dinge
haben Sie in Seattle gefunden?« fragte Lydia erstaunt, denn sie selbst hatte
bei ihrem Besuch in den Auslagen nichts dergleichen entdecken können.
Joe lächelte. »Vor einiger Zeit lag
ein Segelschiff im Hafen die Enchantress. Sie kam von einer Reise nach
China und hatte auch in San Francisco haltgemacht. Zusätzlich zu seiner anderen
Ladung hatte der Kapitän auch Waren für die Händler in Seattle mitgebracht.«
Etwas in seinem Ton erregte Lydias
Neugier. »Welche andere Ladung?« fragte sie.
Eine leichte Röte stieg in Joe
McCauleys Wangen auf. »Das wollen Sie gar nicht wissen, Lydia.«
»0 doch, Joseph!« entgegnete sie
resolut. »Deshalb habe ich ja gefragt.«
»Frauen.«
Lydia begriff nicht. »Frauen?«
Joseph setzte sich ihr gegenüber auf
eine umgedrehte Obstkiste und vermied es, Lydia anzusehen. »Ja«, sagte er
schließlich. »Frauen ... Leichtlebige Frauen.«
»Sie glauben doch wohl nicht, ich
sei so naiv, daß ich nicht wüßte, was Prostituierte sind?« entgegnete Lydia,
gereizt über sein Zögern. Was kümmerte es sie, wenn einige mehr der sogenannten
>befleckten Tauben< in den Bordells von Seattles Skid Road flatterten?
Joseph räusperte sich umständlich.
»Ach, vergessen Sie es«, meinte
Lydia rasch. Seit Polly ihr die Neuigkeiten von der bevorstehenden Hochzeit
überbracht hatte, war sie nicht mehr sie selbst gewesen und zu keinem klaren
Gedanken fähig. Bevor sie etwas Vernünftiges sagen konnte, klopfte jemand an
die Haustür.
Joseph machte ein unbehagliches
Gesicht, doch dann stand er auf und öffnete.
Es war Devon, der auf der Schwelle
stand, auf seine Krücke gestützt und in einem grauen Anzug mit gestreifter
Weste, zu dem er einen eleganten Hut trug. Ohne Doktor McCauley zu beachten,
betrat er das Haus und erfüllte den ganzen Raum mit seiner Größe und der
vibrierenden Kraft seiner Persönlichkeit.
»Ich verlasse Quade's Harbor«, sagte
er ohne Einleitung, nahm seinen Hut ab und schaute Lydia in die Augen. »Ich bin
gekommen, um dich zu bitten, mich zu begleiten.«
Lydia war sprachlos. Einen wilden
Moment lang war sie versucht, mit Ja zu antworten, obwohl sie wußte, daß das
unmöglich war. Sie war noch nicht imstande, ihre Gefühle für Brigham so
mühelos beiseite zu schieben.
»Das kann ich nicht, Devon«,
erwiderte sie leise.
Ein harter Zug erschien um Devons
Kinn, aber er akzeptierte ihre Antwort, und Lydia hatte sogar den Eindruck, daß
er ein bißchen erleichtert war.
Er verbeugte sich vor ihr, dieser
gute und sanfte Mann, der sie nach Quade's Harbor gebracht hatte, und küßte sie
auf den Scheitel. »Alles Gute, Lydia«, sagte er. Und dann war er fort.
Während Lydia sich noch fragte, wie
Devon in seinem Zustand die anstrengende Reise über Land antreten konnte,
erscholl das laute Tuten eines Frachters, und ihre Frage war beantwortet.
Sechzehn
Die schlichte Trauungszeremonie sollte
im Garten des großen Hauses auf dem Hügel stattfinden, und es schien, als würde
die gesamte Bevölkerung der näheren Umgebung zur Hochzeit erscheinen. Feste, zu
denen es in Puget Sound nur selten Anlaß gab, sprachen sich schnell herum;
jeden Tag trafen neue Siedler ein, und sogar Indianer bauten am Stadtrand ihre
Zelte auf.
Mitten in all dieser Aufregung wurde
wie verrückt gebaut. Brigham hatte eine Gruppe Männer beauftragt, Devons Warenhaus
fertigzustellen, und Bestellungen waren bis nach Boston und New York aufgegeben
worden. Joe McCauleys Praxis befand sich ebenfalls bereits im Bau, und die
Arbeiten an dem Gemeindehaus gingen flott voran, im gleichen Rhythmus wie jene
an dem großen Gebäude, das ein Hotel werden sollte, wie Charlotte behauptete.
Das Echo der schweren Hämmer schallte durch die Stadt und vermischte sich mit
dem Kreischen der Sägen, und Lydia hielt sich strikt in ihrem kleinen Haus auf,
wenn sie nicht gerade im Garten unterrichtete.
In ihren einsamen Stunden verfluchte
sie Devon dafür, daß er nicht zurückkam und seine Frau und sein Kind für sich
beanspruchte, und Brigham für sein unerschütterliches Ehrgefühl. Polly war die
einzige, der sie keinen Groll entgegenbrachte; in dieser rauhen Gegend taten
Frauen, was sie konnten, um sich einen Platz zu schaffen. Für die meisten war
es schlichtweg eine Frage des Überlebens.
Lydia ging Brigham aus dem Weg,
obwohl er mehrmals versuchte, mit ihr zu reden. Das erste Mal, als er
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