Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
leise und blinzelte die
Tränen zurück.
Joseph seufzte. »Nein, Liebes — ich
könnte Ihnen niemals böse sein. Natürlich bin ich enttäuscht, aber ich habe
schon Schlimmeres in meinem Leben durchgemacht und bin dennoch immer darüber
hinweggekommen.«
Seine Worte stimmten Lydia
nachdenklich, und sie versuchte, sich Brigham vorzustellen, wie er das gleiche
sagte, aber es gelang ihr nicht. Bei Dr. McCauley hätte sie Frieden und Poesie
gefunden; mit Brigham würde sie Leidenschaft kennenlernen und vielleicht sogar
Schmerz, und es war anzunehmen, daß es gelegentlich auch zu lautstarken
Auseinandersetzungen zwischen ihnen kommen würde.
Lydia küßte Joseph auf die Wange.
»Zeigen Sie mir Ihr Haus«, bat sie. »Jake Feeny hat mir davon erzählt, aber ich
möchte es gern selbst sehen.«
Das Gerüst für Josephs schlichtes
Häuschen stand bereits, und es war auch schon ein Brunnen ausgehoben worden.
Das Haus selbst würde aus einer großen Wohnküche und einem kleinen Schlafzimmer
bestehen, während ein Anbau als Praxis diente.
»Ich werde Hilfe brauchen«, bemerkte
Joseph, ohne Lydia dabei anzusehen. »Ich nehme an, daß Sie trotz all Ihrer
Erfahrung noch nie bei einer Geburt assistiert haben? Sobald noch mehr
Menschen nach Quade's Harbor kommen, werde ich Unterstützung brauchen.«
Der leichte Wind blies Lydia eine
Haarsträhne in die Stirn, und sie strich sie zurück. »Ihre Soldaten haben
unsere mit Kanonen und Gewehren beschossen, Dr. McCauley«, entgegnete sie
trocken. »Sie haben sie nicht geschwängert.«
Joseph lachte, und die Spannung
zwischen ihnen lockerte sich. Froh, daß sie das Schlimmste überstanden hatten,
berührte Lydia seinen Arm. »Beruhigen Sie sich, Joe. Ich habe auch schon als
Hebamme gearbeitet. Mein Vater führte vor dem Krieg eine Praxis in Fall River.
Ich habe sehr oft mitgeholfen, ein Baby auf die Welt zu bringen.«
Der Arzt wirkte erfreut, doch dann
erschien eine steile Falte zwischen seinen Brauen. »Da waren Sie noch nicht
verheiratet«, wandte er nach kurzer Überlegung ein. »Ihr Mann wäre vielleicht
nicht damit einverstanden, daß Sie als Krankenschwester arbeiten.«
Ha! dachte Lydia, straffte die
Schultern und schob das Kinn vor. »Ich bin sicher, daß Mister Quade Verständnis
für meine Wünsche zeigen wird«, entgegnete sie, obwohl sie alles andere als
sicher war. Im Grunde genommen hatte sie nicht die geringste Vorstellung von
dem, was ihr Mann von ihr erwartete, außer leidenschaftlichen Umarmungen in der
Nacht vielleicht, weil sie ihn gar nicht kannte. Jedenfalls nicht so,
wie eine Frau den Mann kennen sollte, den sie ehelichte.
»Ja, vielleicht«, gab Joseph zu und
richtete nachdenklich seinen Blick auf das Gerüst eines zweistöckigen
Gebäudes, das sich auf einem freien Stück Land hinter der Sägemühle erhob. Dann
drehte er sich um und schaute Lydia in die Augen. »Aber werden Sie Verständnis
für ihn haben?« fragte er und deutete mit dem Kopf auf das Baugerüst.
Eine kalte Hand schien über ihren
Rücken zu streichen. »Das muß das Hotel sein«, entgegnete sie betont
gleichmütig.
Joseph hustete, als sei ihm etwas in
den Hals geraten. »Hotel?« wiederholte er. »Ist es das, was Brigham Ihnen
erzählt hat?«
Lydia konnte Zelte neben der
Baustelle erkennen und helle Farbflecken, die sich über das Gelände bewegten.
»Brigham hat mir gar nichts erzählt«, erwiderte sie und beschattete die Augen.
»Wer sind diese Frauen dort in den eleganten Kleidern? Werden sie in dem Hotel
wohnen?«
»Das könnte man sagen«, gab Joseph
zu, zog seine Taschenuhr und betrachtete prüfend ihr Ziffernblatt.
»Wann sind sie angekommen?« Lydias
Herz schlug ein wenig schneller als üblich, und ein merkwürdiges Gefühl
breitete sich in ihrem Magen aus.
»Gestern«, antwortete ihr Freund
widerstrebend. »Sie sind vermutlich mit demselben Frachter wie Devon
eingetroffen.« Wieder starrte er auf seine Uhr, als könnte er die Zahlen nicht
erkennen. »Falls Sie noch mehr Fragen haben, Lydia, dann stellen Sie sie
lieber Ihrem Mann.«
Doch Lydia hatte zu viele andere
Dinge zu erledigen, um sich auf die Suche nach Brigham zu begeben. Außerdem war
es immer anstrengend, mit ihm zusammen zu sein, und sie mußte nach dieser Nacht
erst neue Kräfte sammeln. Deshalb beschloß sie, ihn erst beim Abendessen nach
dem Hotel zu fragen.
Als sie die Kinder in ihrem Garten
spielen sah, erinnerte Lydia sich an die Katze und lief schuldbewußt aufs Tor
zu.
Millie jedoch stürmte ihr
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