Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
daß Sie solch romantische Vorstellungen von Liebe haben«, meinte er
rauh. »Sie sind schließlich noch ein junges Mädchen und waren sehr behütet -
woher sollten Sie schon wissen, daß eine solch wundervolle Leidenschaft sehr
selten ist? Und was für ein Schuft ich bin, Ihnen mit der traurigen Wahrheit
die Illusion geraubt zu haben!« Er holte tief Atem und ließ ihn in einem
schweren Seufzer aus. »Annie, meine Schöne - die meisten von uns finden niemals eine solche Art von Liebe. Wir müssen uns mit den geringeren Gefühlen
zufriedengeben, die irgendwann vielleicht zu einem stillen Glück erblühen.«
Als er schwieg, schob Annie in einer
trotzigen Geste das Kinn vor. »Wie froh ich bin«, sagte sie, »daß ich nicht Sie
bin.«
Er ließ seine Hände sinken. »Möge
Gott uns beistehen«, murmelte er. »Sie wollen mir damit sagen, daß Sie diese
Art von Leidenschaft für Rafael empfinden, nicht?«
Annie nickte. »Ich glaube, das sagte
ich Ihnen schon ganz zu Anfang. Und falls Sie nicht das gleiche für Phaedra empfinden
- oder sie für Sie -, sollte keine Hochzeit stattfinden. Noch nicht.«
Chandler wandte sich in sichtlicher
Verwirrung von ihr ab und fuhr sich in einer nervösen Geste mit der Hand durchs
Haar, bevor er Annie wieder anschaute. »Vergessen Sie Phaedra und mich für den
Moment«, sagte er. »Sie, Annie dürfen sich nicht erlauben, Rafael St.
James solch tiefe Gefühle entgegenzubringen!« Als sie protestieren wollte, hob
er beschwichtigend die Hände. »Nein, nein, das soll nicht heißen, daß er kein
guter Mensch ist - er ist einer der besten, die ich kenne. Aber Rafael ist zum
Untergang verdammt, genau wie diese verfallende alte Burg hier und dieses
verdammte Land. Wenn Sie ihm Ihr Herz schenken, wird er es vermutlich mit ins
Grab nehmen.«
Annie trat einen Schritt zurück und
schloß gequält die Augen. »Dann soll es halt so sein«, entschied sie.
»Großer Gott«, murmelte Chandler und
erblaßte. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Annie. Sie sind so jung, so schön Sie
wurden geboren, um zu heiraten, um irgendeinen glücklichen Narren verrückt zu
machen vor Arger und vor Verlangen, um Kinder in die Welt zu setzen und Träume
zu verwirklichen ...« Er verstummte und betrachtete sie mit stiller
Verzweiflung. »Fliehen Sie, Annie - verlassen Sie diesen Ort und nehmen Sie Ihr
süßes, törichtes kleines Herz mit!«
Die gleiche Entscheidung hatte Annie
eine Stunde zuvor schon selbst getroffen, doch als sie jetzt in diesem üppigen,
verwilderten Garten stand, wußte sie, daß sie St. James niemals freiwillig
verlassen würde, weder vor noch nach Phaedras Hochzeit, und wenn überhaupt,
dann nur mit Rafael an ihrer Seite. Langsam schüttelte sie den Kopf.
»Ich bleibe«, sagte sie und wußte,
daß sie damit gerade den geheiligtsten Schwur ihres Lebens abgegeben hatte.
Chandler seufzte und ließ sie nach
einem gemurmelten Abschiedsgruß
allein. Annie sah ihm nach - sie nahm es ihm nicht übel, daß er die Weisheit
ihrer Entscheidung anzweifelte, denn alles, was er geltend machte über Rafael,
war durchaus vernünftig. Und doch wußte Annie vom Mitansehen der lebenslangen
Romanze zwischen ihren Eltern, daß Liebe nicht unbedingt auf Vernunft beruhte.
Rafael hatte die Szene im Garten von einem
Fenster aus beobachtet und war nicht erfreut. Was zum Teufel hatten diese
beiden dort zu bereden, in einem so abgelegenen Teil des Gartens? Was dachte
Haslett sich dabei, Annie zu berühren, sie derart zärtlich zu umsorgen, als
wäre sie und nicht Phaedra seine Braut? Und dann war da noch die beunruhigendste
Frage überhaupt - was mochte ihre Begegnung so urplötzlich beendet haben?
Denn das hatte er noch als erheblich
eigenartiger empfunden als ihre ernste Unterhaltung und die Berührungen.
Wütend auf Chandler, auf Annie und
vor allem auf sich selbst, wandte Rafael sich vom Fenster ab und ging über den
Korridor auf eine der hinteren Treppen zu. Er war ein Narr gewesen, Annie zu
folgen, als sie am Tag zuvor ausgeritten war, und ein größerer noch, sie zu
küssen und in die Freuden der Liebe einzuweihen. Denn nun - weil er sich so
edelmütig von ihr abgewandt hatte, ohne sich die Befriedigung zu nehmen, die
sie ihm so bereitwillig geschenkt hätte - war er wie besessen von der Göre. Er
hatte fast seinen eigenen Bruder erdrosselt, und nun spionierte er wie ein
altes Weib den Leuten aus den Fenstern nach und glaubte, Intrigen und Verrat
zu sehen.
Fluchend stürmte Rafael die uralten,
ausgetretenen
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