Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
Stufen hinunter und schlenderte in den vernachlässigten Garten.
Annie war nicht mehr da, nur Pan mit seiner verwitterten Flöte und seinem
kecken Lächeln blieb.
Rafael bedachte die Statue mit einem
Stirnrunzeln und kehrte in die Burg zurück, mit der vollen Absicht, seine Emotionen
unter Kontrolle zu bringen und sich auf den drohenden Niedergang seines
geliebten Landes einzustellen. Durch einen ironischen Zufall begegnete er
jedoch Chandler, der mit hängenden Schultern im Korridor an der Wand lehnte.
»Du!« knurrte er, als er Rafael
erblickte und runzelte die Stirn, als stünde der Teufel selbst vor ihm.
Rafael nickte nur. Obwohl er
insgeheim belustigt war, hätte er seinen alten Freund am liebsten windelweich
geschlagen, weil er es gewagt hatte, Annie Trevarren zu berühren.
Chandler straffte die Schultern,
zupfte an seinen Rockärmeln - er war ein unverbesserlicher Dandy - und erwiderte
dann Rafaels ärgerlichen Blick. »Du mußt das Mädchen fortschicken«, sagte
Chandler hart. »Sofort.«
Ein giftiges, gehässiges Gefühl
beschlich Rafael, etwas so Häßliches, wie er es noch nie zuvor empfunden hatte.
»So?« erkundigte er sich ruhig. »Warum willst du das? Weil die Dame eine
Versuchung für dich darstellt?«
Blut schoß in Chandlers Nacken und
pochte an seinem Kinn, das hart vor Zorn geworden war. Unwillkürlich ballte er
die Fäuste, und aus seinen Augen sprühte etwas, was Rafael für gerechte
Empörung hielt. »Eine Versuchung, Rafael?« konterte er. »Willst du
damit sagen, daß ich das Vertrauen deiner Schwester enttäuschen würde? Daß ich dich hintergehen würde - meinen Cousin und langjährigen Freund?«
Rafael spürte, wie Galle in seiner
Kehle aufstieg und alles in ihm danach drängte, mit diesem geschätzten
Verbündeten zu kämpfen, während er gleichzeitig an seinem eigenen Verstand
zweifelte. Er versuchte, etwas zu sagen, aber kein Wort kam über seine Lippen.
Chandler entspannte sich ein wenig
und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. »Es ist nicht der geeignete
Moment für Auseinandersetzungen, Rafael«, sagte er begütigend. »Du müßtest
wissen, daß ich ein Mann bin, der zu seinem Wort steht, selbst wenn deine
Sorgen dich drängen, etwas anderes zu glauben.«
Nun war es Rafael, der sich an die
Wand lehnte und um Beherrschung kämpfte. »Worüber hast du mit Annie gesprochen,
dort im Garten?« fragte er schließlich rauh. »Und warum hast du sie angefaßt?«
Chandler lachte, aber es klang
bitter und hohl. »Aha, daher also dein Mißtrauen! Du hast mich mit Annie gesehen?«
Rafael nickte. All seine frühere
Spannung stellte sich wieder ein; es erforderte seine ganze Willenskraft, sich
nicht auf Chandler zu stürzen und ihm eine Erklärung abzuringen.
»Annie sagte mir, daß sie dich
liebt«, erwiderte Chandler erbarmungslos.
»Nein«, murmelte Rafael. Es hätte
weniger geschmerzt, wenn Chandler ihn mit einem Schwert durchbohrt oder mit
einer jener stacheligen Keulen bearbeitet hätte, die im Verlies verrotteten.
»Lieber Himmel, nein! Annie ist doch kaum dem Schulalter entwachsen. Sie glaubt nur, etwas für mich zu empfinden ...«
Chandler schüttelte den Kopf. »Nein,
Rafael«, sagte er ernst. »Du irrst dich. Annie Trevarren ist sich durchaus im
klaren über ihre Gefühle, dessen bin ich mir ganz sicher. Im übrigen, falls die
Gerüchte stimmen, die seit gestern in der Burg umgehen, hast du der jungen Dame
Grund genug gegeben - du Schuft - anzunehmen, daß ihre Gefühle erwidert
werden.« Er schwieg einen Moment, bevor er weiterredete. »Verdammt, Rafael, du
kannst dieses entzückende Wesen nicht im Ungewissen lassen. Entweder behandelst
du sie ehrenhaft, oder du schickst sie nach Hause, solange noch Zeit ist, ihr
einen schlechten Ruf und ein verpatztes Leben zu ersparen!«
Rafael schwieg, weil er nichts
darauf zu erwidern wußte. Was Chandler sagte, war nur zu wahr, und seine Worte
trafen einen Nerv in ihm.
Er, Rafael, hätte wissen müssen, was
Annie dachte und empfand, so wie sie sich ihm am Tag zuvor hingegeben hatte, so
wie sie sich seinen Händen, seinem Mund entgegengedrängt hatte ... Ja, er
hätte es wissen müssen, aber er hatte es nicht erkannt - wirklich nicht. Er
hatte Liebe erfahren, reine, wahre Liebe, von seiner geliebten und verlorenen
Georgiana, und kein Mensch konnte zweimal in einem Leben ein solches Glück
erhoffen. Ganz sicher nicht er, Rafael St. James, der Bastard einer Zigeunerin
und betrügerische Prinz.
»Schick sie fort«, beharrte
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