Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
Kupferwanne gebracht. Annie war wund von den leidenschaftlichen
Umarmungen der Nacht, und das Bad beruhigte ihren Körper, wenn es auch nicht
den Kummer ihrer Seele lindern konnte. Annie wußte zwar, daß sie es nie bereuen
würde, sich Rafael geschenkt zu haben, doch nachdem sie das Paradies
kennengelernt hatte, fiel es ihr schwer, sich mit ihrer Verbannung aus dem
Garten Eden abzufinden. Sie glaubte jetzt zu verstehen, was Eva damals nach
ihrer Vertreibung empfunden haben mußte.
Als Annie ihr Bad beendete,
entschied sie sich schließlich doch für das blaue Kleid, das Kathleen
vorgeschlagen hatte. Sie hatte ihr Haar bereits gekämmt und aufgesteckt, als
Kathleen mit zwei anderen Mägden zurückkehrte, die die Wanne aus dem Raum
entfernten. Kathleen zog derweil Annies Bett ab und legte frische Laken auf.
Annie sagte nichts, aber ihre Wangen
brannten, als sie den Raum verließ, um Phaedra aufzusuchen. Kathleen mußte
wissen, was in der vergangenen Nacht geschehen war, nachdem sie die Laken
gesehen hatte.
Die Prinzessin war nirgendwo zu
finden, weder in ihren eigenen Gemächern noch im Speisesaal, im Salon oder im
Garten.
Annie gelangte auf ihrer Suche
schließlich auf die andere Seite des Palasts, wo sechs riesige Glastüren, die
alle offenstanden, Zugang zum Ballsaal boten.
Ein geschäftiges Treiben herrschte
in dem großen Saal, in dem das Gesinde und Küchenpersonal damit beschäftigt
war, die Unordnung vom Abend zuvor aufzuräumen.
Annie schaute eine Weile zu und
erinnerte sich, wie sie hier mit Rafael getanzt hatte. Doch der Gedanke
betrübte ihr Herz von neuem, und als sie sich abwandte, war sie so rastlos, daß sie beschloß, sich in die
Einsamkeit des weitläufigen Parks zurückzuziehen.
Felicia stand direkt hinter Annie.
Sie war sehr blaß und still, tiefe Schatten umrahmten ihre Augen, und Tränen
glitzerten in ihren dunklen Wimpern.
Annie empfand tiefes Mitleid mit
Felicia, wußte jedoch nicht, was sie ihr sagen sollte. Obwohl sie die Frau
bedauerte, bereute sie es nicht, Jeremy Covington als Anführer der Bande
Soldaten identifiziert zu haben, die den Marktplatz überfallen und den jungen
Aufrührer ermordet hatten.
»Sind Sie ... sicher, daß es Jeremy
war, den Sie gesehen haben?« sagte Felicia gebrochen.
»Ja«, antwortete Annie mit klarer
Stimme.
Felicia kaute an ihrer Unterlippe
und nickte schließlich zerstreut. »Jeremy geriet schon als kleiner Junge
andauernd in Schwierigkeiten«, sagte sie. »Papa dachte, die Armee würde einen
Mann aus ihm machen.« Felicia hielt inne und stieß ein hysterisches Geräusch
aus, das teils Gelächter war, teils ein ersticktes Schluchzen. »Statt dessen
wird sie sein Ruin sein.«
Annie schwieg, weil es sinnlos
gewesen wäre, Felicia darauf hinzuweisen, daß nicht die Armee Jeremy Covington
zerstört hatte, sondern daß er alles, was ihm jetzt zustoßen würde,
ausschließlich sich selbst zuzuschreiben hatte.
Felicia schien jedoch gar nicht mit
Annie zu sprechen, sondern mit irgendeiner unsichtbaren Person neben ihr. Ihre
schönen braunen Augen blickten ins Leere, eine steile Falte stand zwischen
ihren Brauen, und ihre Haut war so durchsichtig, daß blaue Äderchen darunter
zu erkennen waren. »Rafael wird ein Exempel an Jeremy statuieren. Er wird ihn
als Opferlamm benutzen und ihn den Wölfen vorwerfen.«
Annie legte einen Arm um Felicias
Taille und führte sie sanft zur nächsten Bank. »Sie sind überreizt«, sagte
Annie. »Ich bringe Ihnen ein bißchen Wasser ...«
»Nein.« Felicia schüttelte den Kopf,
ergriff Annies Hand und zog daran, bis Annie sich neben ihr niederließ.
»Sie könnten Rafael umstimmen«,
sagte sie beschwörend. »Er hat Sie gern, Annie. Wenn Sie ihn darum bitten,
weist er Jeremy vielleicht nur aus Bavia aus, anstatt ihn vor Gericht zu
stellen.«
Annie schloß die Augen, hörte das
schrille Wiehern der Pferde, das Klappern ihrer Hufe auf dem gepflasterten
Marktplatz, das Gebrüll der Soldaten und die entsetzten Schreie der Händler und
ihrer Kunden. Und sie hörte den Schuß, der dem Leben des Studenten ein Ende
gesetzt hatte.
Sie zwang sich, den Blick auf
Felicias bleiches Gesicht zu richten. »Ich habe keinen Einfluß auf den
Prinzen«, sagte sie so milde, wie sie konnte.
Felicia begann zu widersprechen,
wurde jedoch von einer männlichen Stimme unterbrochen.
»Miss Trevarren hat recht, Felicia«,
sagte Rafael hinter ihnen.
Miss Trevarren? dachte Annie gekränkt.
Rafaels graue Augen waren wie
frostbedeckter Stahl,
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