Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
als er sie anschaute. »Obwohl ich zugebe, daß ich unserem
amerikanischen Gast eine gewisse Zuneigung entgegenbringe«, sagte er, »bitte
ich sie nicht um Rat in Angelegenheiten des Staates.«
Annie senkte den Blick. Was er
sagte, stimmte und war zweifellos auch sehr vernünftig, und doch konnte sie
nicht umhin, seine Worte wie eine Ohrfeige zu empfinden. Gestern nacht noch
hatte Rafael in ihren Armen lustvoll aufgestöhnt und heiser aufgeschrien, als
sie ihn liebkoste, und doch hätte er jetzt ein Fremder sein können.
Felicia sprang auf und packte Rafael
an den Rockaufschlägen. »Bitte«, flehte sie ihn an. »Laß Jeremy Bavia verlassen
schick ihn nach England oder Frankreich ... Ihn zu bestrafen würde nicht das
geringste ändern ...«
Rafael ergriff Felicias Handgelenke
und hielt sie fest, und Annie sah tiefempfundene Qual über seine Züge huschen.
»Leutnant Covington hat uns die Namen der anderen Männer genannt, die an jenem
Tag bei ihm waren«, berichtete er ruhig. »Sie sind alle ihres Dienstes enthoben
und ins Gefängnis gebracht worden, um dort die Verhandlung abzuwarten.«
Felicia begann zu weinen. »Rafael,
nein ... o Gott ... Tu es nicht, ich flehe dich an ...«
Da zog der Prinz seine ehemalige
Geliebte in die Arme und flüsterte ihr Worte des Mitgefühls und Trostes zu,
obwohl er über ihren Kopf hinweg unablässig Annie ansah. Seine
Selbstbeherrschung war bewundernswert.
Annie erhob sich wortlos und eilte
in den Palast zurück.
An jenem Nachmittag wurden auf
Rafaels Befehl hin Phaedra und Annie nach St. James zurückgebracht, begleitet
von einer ganzen Schwadron Soldaten. Mr. Haslett blieb in Morovia, nicht anders
als Felicia, deren Gemütszustand im Moment keine Reise zuließ.
In der Kutsche saß Phaedra Annie
schweigend gegenüber und las in einem Gedichtband. Die plötzliche Trennung von
ihrem zukünftigen Ehemann schien sie nicht im geringsten zu berühren. Ab und zu
schloß die Prinzessin ihr Buch und starrte mit nachdenklicher Miene auf die
vorüberziehende Landschaft.
Annie war so nervös, daß sie die
Aufmerksamkeit ihrer Freundin und den Klang einer anderen Stimme brauchte, so
banal das Ge s präch auch sein mochte. »Der Ball war schön«, sagte sie
und erhoffte sich eine ausführliche Antwort.
Phaedra wandte sich vom Fenster ab
zu Annie und schaute sie an, als wäre sie überrascht, sie hier zu sehen. »Ja«,
erwiderte sie. »Du warst viel mit Rafael zusammen. Es hat eine Menge Gerede
ausgelöst.«
Nachdem Annie sekundenlang die
Lippen zusammengepreßt und den Blick abgewandt hatte, entschloß sie sich zu
einer ehrlichen Antwort. »Ich habe nie ein Geheimnis aus meinen Gefühlen für
ihn gemacht. Schon gar nicht bei dir.«
Die Prinzessin seufzte, nahm ihre
schwarze Reisetasche ab und legte sie auf den gepolsterten Kutschensitz. »Du
kommst mir heute anders vor, Annie«, bemerkte sie. »Du bist sehr still und
wirkst irgendwie trotzig. Ich hoffe, daß du nicht so dumm warst, dem
bemerkenswerten Charme meines nes Bruders zu erliegen.«
Heiße Röte stieg in Annies Wangen;
ihre Gefühle lagen so nahe unter der Oberfläche, daß sie sie kaum vor Fremden
zu verbergen wußte, geschweige denn vor ihrer besten Freundin. »Es ist meine
Sache, was ich tue, und nicht deine.«
Phaedra wirkte aufrichtig bestürzt.
»O Annie«, murmelte sie. »Rafael wird dich niemals heiraten. Er könnte es auch
gar nicht angesichts des drohenden Zusammenbruchs von Bavia.
Rafael hatte Annie das gleiche
gesagt, und sie hatte ihm geglaubt. Phaedras Worte waren daher keine
Überraschung, und doch war es eine niederschmetternde Erfahrung für Annie, sie
von neuem zu hören und zu akzeptieren.
Sie schluckte, um nicht in Tränen
auszubrechen.
Phaedra, die noch nie besonders
taktvoll gewesen war, fuhr fort: »Selbst wenn Bavia kein Krieg drohte, würde
Rafael gezwungen sein, eine Adlige zu heiraten.« Sie zupfte ihre
Rehlederhandschuhe zurecht. »Es ist allerdings möglich, daß er dich zur
Geliebten nimmt, vorausgesetzt, er lebt lange genug, um dir ein entsprechendes
Haus einzurichten.«
Annie hatte viel geopfert für diese
eine Nacht mit Rafael St. James, aber sie hielt sich nicht für geringer als
ihn, ob sie nun einen Adelstitel besaß oder nicht. Im übrigen war ihre Liebe
eine Sache der Ewigkeit, ohne Anfang und ohne Ende, und sie hatte nicht die
Absicht, den Rest ihres Lebens in einem goldenen Käfig zu verbringen.
»Phaedra«, begann sie, als sie sich
wieder einen einigermaßen nüchternen Ton
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