Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
unfaßbaren Freuden, die er in
Annies Armen erlebt hatte, doch dann kehrte er in die grimmige Gegenwart
zurück, die sich nicht mehr verdrängen ließ.
Auch Barrett, der neben Rafael
stand, schien das zu begreifen, denn er legte eine Hand auf seinen Arm. »Die
Armee erwartet deinen Befehl, Morovia zu verteidigen oder zu fliehen«, sagte
Edmund ernst. »Hast du schon einen Entschluß gefaßt?«
Rafael nahm stumm Abschied von dem
Heimatland, das er gekannt hatte. Es aufzugeben war so qualvoll wie eine Lanze,
die sein Herz durchbohrte.
»Ja«, antwortete er schließlich und
drehte sich zu seinem besorgten Freund um. »Ich möchte, daß du Truppen aufs
Land schickst, damit sie die Dörfer gegen plündernde Rebellen verteidigen. Ich
selbst werde nach St. James zurückkehren, um Phaedra zu verheiraten, und dann
wirst du, Barrett, sie und ihren Mann sicher zur französischen Grenze bringen.«
Ein Schatten fiel über Barretts
Augen. »Und dann?«
»Wirst du deinen Männern den
Abschied geben und ein neues Leben beginnen — in Amerika vielleicht oder in
Australien. Bei der Carver Bank in London ist ein Vermögensfonds für dich
eingerichtet, der es dir erlauben wird, bequem zu leben, während du dir eine
neue Existenz gründest.«
Barrett schwieg eine Zeitlang und
wich Rafaels Blick aus. Dann, noch immer ohne Rafael anzusehen, fragte er: »Und
du?«
Rafael seufzte schwer. »Das hatten
wir bereits besprochen. Ich bleibe in Bavia.«
»Bis die Aufständischen die Burg
einnehmen und dich im Hof aufhängen?« fragte Barrett scharf.
Rafael preßte die Lippen zusammen.
»Das hört sich sehr melodramatisch an, Barrett. Vielleicht solltest du in
Zukunft schlechte Theaterstücke schreiben, um dir deinen Lebensunterhalt zu
verdienen.«
»Hör mir zu, verdammt!« fuhr Barrett
ihn an. »Ich werde dieses verfluchte Land nicht ohne dich verlassen - selbst
wenn ich dich bewußtlos schlagen und in einem Kartoffelsack von hier
fortschleppen müßte!« Er hielt inne, holte tief Atem und ließ ihn langsam
wieder aus. »Mein Gott, Rafael«, fuhr er fort, »glaubst du, ich könnte den Rest
meines Lebens mit dem Gedanken leben, daß ich den besten Freund, den ich je
hatte, im Stich gelassen habe?«
Rafael schüttelte betrübt den Kopf.
»Deine Verantwortung für meine Sicherheit wird in jenem Augenblick enden, in
dem du zum letzten Mal über die Zugbrücke von St. James reitest. Aber
vielleicht wäre es besser - und rücksichtsvoller -, wenn ich dich jetzt schon
deiner Pflichten entheben würde.«
Barretts Gesicht verzerrte sich, als
er gegen seine Gefühle ankämpfte. »Wir sind seit über zwanzig Jahren Freunde«,
gab er zornig zu bedenken. »Was ist mit den Pflichten, die sich daraus ergeben,
Rafael? Kann ein Ritt über die Zugbrücke oder eine Entlassung aus dem Dienst
auch sie beenden?«
Rafael war mit seiner Geduld am
Ende; er fürchtete die Trennung von Barrett sehr - nur von Annie Abschied zu
nehmen konnte schlimmer sein. Das letzte, was er jetzt brauchte, war, an eine
Freundschaft erinnert zu werden, die den größten Teil seines Lebens angedauert
hatte. Aus diesem Grund war seine Stimme barsch, als er durch den Raum zur Tür
ging.
»Großer Gott, Barrett, du klingst
wie eine Frau, die gerade von ihrem Liebhaber verlassen worden ist. Halte die
Ohren steif und deine Gefühle für dich - oder reich den Abschied ein. Ich habe
weder die Zeit noch das Verlangen, mir dein sentimentales Gerede anzuhören.«
Barrett kochte vor Wut, das spürte
Rafael, er sagte nichts mehr, bis sie die breite Treppe zur Halle
hinuntergestiegen waren. Dort - in militärischer Haltung, die Hände hinter dem
Rücken verschränkt - sprach Barrett mit der kühlen Förmlichkeit eines Fremden
den Prinzen an.
»Ich würde Euch raten, Morovia so
schnell wie möglich zu verlassen, Hoheit«, sagte er, den unbewegten Blick auf
einen Punkt irgendwo hinter Rafaels linkem Ohr gerichtet. »Ich kann in einer
Viertelstunde eine Eskorte für Euch bereithalten. Doch vorher würde ich gern
wissen, was mit den Gefangenen geschehen soll - mit Covington und den anderen,
meine ich?«
Rafaels Nackenmuskeln verkrampften
sich. Er konnte die Männer unmöglich den Rebellen ausliefern, aber sie freizulassen,
selbst mitten in der Revolution, wäre ein Hohn auf die Justiz gewesen.
»Ich möchte, daß sie zur Verhandlung
in die Burg gebracht werden«, erwiderte er schließlich.
Barrett entgegnete nichts, neigte
nur kühl den Kopf und ging, um mit seinen Offizieren zu sprechen,
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