Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
die in
einiger Entfernung standen und auf Befehle warteten.
Eine Viertelstunde später
versammelte sich, wie Barrett versprochen hatte, eine größere Truppeneinheit
auf der Straße hinter dem verdunkelten Parlamentsgebäude. Nach Rafaels
Schätzung waren es mindestens fünfzig Mann, und auch sein Pferd war bereits
gesattelt. Covington und seine Bande wurden aus dem Verlies geholt und mit
hinter dem Rücken gefesselten Händen in zwei große Gefängniskarren verfrachtet.
Rafael schaute scheinbar
gleichgültig zu, aber er dachte an Felicias schreckliche Trauer, hörte ihre
flehentlichen Bitten und erinnerte sich an ihr Zittern, als er sie in den Armen
gehalten und getröstet hatte. Ihrem Flehen zu widerstehen war eine der
härtesten Aufgaben gewesen, die er je hatte vollbringen müssen, aber ein junger
Mann war getötet und mehrere Händler verletzt worden, während andere ihre
Lebensgrundlage verloren hatten. Covington und die anderen freizulassen wäre
nicht zu rechtfertigen gewesen.
Er saß schon auf seinem schwarzen
Wallach, als Lucian herbeiritt und ihm einen spöttischen Salut entbot. »Einen
Augenblick Ihrer kostbaren Zeit, bitte, Sir«, sagte er.
Rafael ignorierte den Sarkasmus in
Lucians Ton und Haltung und behandelte ihn, wie er jeden anderen Soldaten
behandelt hätte. »Was gibt's?« fragte er kurzangebunden.
Lucian ritt noch näher an ihn heran
und flüsterte: »Es würde dir nur recht geschehen, du arroganter Bastard, wenn
ich für mich behielte, was ich weiß, und dich in die Falle reiten ließe, die
dich erwartet. Phaedra und Annie zuliebe jedoch werde ich der Versuchung
widerstehen!«
Rafael hob den Arm und versetzte
Lucian einen so harten Schlag, daß er fast aus dem Sattel stürzte. Der Junge
erholte sich jedoch erstaunlich schnell, wischte das Blut aus seinen
Mundwinkeln und starrte Rafael mit haßerfüllten Blicken an.
»Auch ich war schon unzählige Male
versucht, zu tun, was ich gerade tat«, erklärte Rafael zornig. »Treib mich
nicht zum Äußersten, Lucian, denn sonst schwöre ich dir bei allem, was mir
heilig ist, dich von deinem Pferd zu reißen und dich besinnungslos zu prügeln,
gleich hier und jetzt.«
Lucian blieb ungerührt, doch es lag
eine grollende Zuvorkommenheit in seiner Stimme, als er wieder sprach. »Die
Rebellen wollen Covington und seine Bande haben«, sagte er. »Du würdest eine
Menge Leben retten, einschließlich deines eigenen, wenn du sie ihnen jetzt
übergeben würdest.«
Rafael beugte sich vor und verengte
nachdenklich die Augen. »Woher weißt du, was die Rebellen wollen?«
Lucian versteifte sich leicht, aber
er lächelte. »Ich höre sehr viel, jetzt, wo ich vom königlichen Herd verbannt
wurde.«
Rafael straffte die Schultern, als
Bartett zu ihnen hinüberritt. »Sag deinen Kontakten, wer immer sie auch sein
mögen, daß diese Männer in St. James vor Gericht gestellt werden und ihr
Schicksal von einer Jury einfacher Leute entschieden werden wird, von
Dorfbewohnern und von Bauern und nicht vom Pöbel.«
Lucian hob die Hand zu einem
zweiten, respektlosen Gruß, bedachte Rafael mit einem bitteren Grinsen und wendete
sein Pferd.
Barrett wirkte noch immer sehr
abweisend, und obwohl Rafael wußte, daß es vermutlich so das Beste war,
schmerzte ihn die Mißbilligung seines alten Freundes.
»Bereit, Hoheit?«
Rafael schluckte eine Entgegnung und
sagte nur: »Ja.«
Die Truppe verließ Morovia durch das
Westtor, und zu Rafaels Erstaunen wurden sie weder angegriffen noch verfolgt.
Die Aufständischen, dachte er trübselig, waren wahrscheinlich zu beschäftigt
mit dem Niederbrennen von Morovia.
Auf der Küstenstraße begegneten sie
Dutzenden von Männern, Frauen und Kindern, die aus der Stadt geflohen waren.
Sie flehten die Soldaten um Schutz an und schrien in der Dunkelheit wie
gequälte Geister. Entgegen Barretts Rat gab Rafael den Befehl, daß zwanzig
Soldaten die Flüchtlinge in die Burg begleiten sollten.
Es schien, daß das Glück dem Prinzen
hold war in jener Nacht, denn selbst mit der verminderten Eskorte und den zwei
Gefängniskarren, die das Fortkommen behinderten, erreichten sie ohne
Zwischenfälle die Zugbrücke von St. James.
Müde ritt Rafael in den Hof, schwang
sich aus dem Sattel und übergab sein Pferd einem Knecht. Ein Höllenlärm begann,
als die Männer, die gerade eingetroffen waren, ihre Geschichten mit jenen
austauschten, die in der Burg geblieben waren. Die Gefängniskarren erregten
Neugierde, die sich noch beträchtlich steigerte, als
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