Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
bekannt wurde, daß die
Gefangenen in die Verliese gebracht werden sollten, die seit über fünfzig
Jahren nicht mehr benutzt wurden.
Körperlich und seelisch zutiefst
erschöpft, überquerte Rafael den Burghof, in Gedanken schon bei dem feinen
Brandy in seinem Arbeitszimmer und dem warmen Trost seines weichen Federbetts.
Als eine schlanke Gestalt aus den Schatten trat und ihm den Weg verstellte,
griff er überrascht zum Schwert, doch dann erkannte er, daß es Annie war.
Er verbarg ein Lächeln, als er ihre
Männerkleidung sah. Er begehrte sie wie eh und je - nein, viel mehr noch, seit
er wußte, welche Wonnen sie zu bieten hatte -, aber diesem Gefühl nachzugeben
wäre ein Bruch seiner Prinzipien gewesen. »Es ist spät, Annie«, sagte er. »Du
solltest längst im Bett sein.«
Der Schein des Monds und der Fackeln
schimmerte in ihrem Haar, als sie sich versteifte und ihr Kinn anhob. »Ich bin
alt genug, selbst zu entscheiden, wann ich schlafen gehe«, entgegnete sie kühl.
Doch im nächsten Augenblick schon stürzte sie auf ihn zu, schlang die Arme um
seihen Nacken und barg das Gesicht an seiner Schulter. Ihr verlockender Körper
erbebte unter ihren Schluchzern, und obwohl Rafael wußte, daßsämtliche
Engel im Himmel ihn bedrängten, sich von ihr zu lösen, zog er sie an seine
Brust.
»Annie«, war alles, was er sagen
konnte.
»Ich dachte, sie hätten dich
umgebracht!« schluchzte sie. »Ich war sicher, daß ich dich nie wiedersehen
würde!«
In diesem Augenblick tauchte Barrett
auf, warf Rafael über Annies Kopf hinweg einen Blick zu und ging wortlos in die
Halle weiter.
»Beruhige dich«, sagte Rafael und
legte die Hände um Annies Gesicht, so daß sie ihn ansehen mußte. »Ich bin ja
hier, gesund und munter. Du mußt jetzt mir zuliebe stark sein, Liebling. Nichts
schwächt mich mehr als deine Tränen.«
Sie nickte und zog mit einem
liebenswerten Mangel an Anmut die Nase hoch, und Rafael legte den Arm um ihre
Schultern. Gemeinsam betraten sie die Burg und erreichten die Treppe, bevor
Annie eine verrückte Forderung vorbrachte.
»Ich möchte ein Schwert haben«,
sagte sie.
Rafael, der Annie gern in sein Bett
mitgenommen hätte und wußte, daß er es nicht durfte, hatte sich im stillen mit
der Aussicht auf einen Brandy, ein heißes Bad, Essen und Schlaf getröstet.
Jetzt starrte er sie betroffen an, überzeugt, daß es sich um ein Mißverständnis
handelte.
»Was?« fragte er einfältig.
»Ich sagte, ich möchte ein Schwert.«
Annie deutete auf sein eigenes. »Ich bin nicht gut mit Feuerwaffen, deshalb
...«
Rafael brachte sie mit einer
Handbewegung zum Schweigen. Der Gedanke an eine bewaffnete Annie, sei es nun
mit Pistole, Pfeil und Bogen, Kanone oder Schwert, ließ sein Blut zu Eis
erstarren. »Miss Trevarren«, sagte er ruhig, »in dieser Burg ist das Kämpfen
noch immer Männersache. Wenn Sie
wirklich helfen wollen, dann halten
Sie sich aus Problemen heraus, bis wir Sie nach Frankreich und in den sicheren
Schoß ihrer Familie zurücksenden können.«
Annie war so verblüfft, als ob er
sie geschlagen hätte, und Rafael unterdrückte den Impuls, sie wieder in die
Arme zu ziehen, denn hätte er es getan, wäre er verloren gewesen, Prinzipien
hin oder Prinzipien her. Er kannte seine eigenen Grenzen nur zu gut.
Noch einmal zog sie recht
undamenhaft die Nase hoch. »Ich verstehe«, sagte sie verächtlich.
»Gut«, seufzte Rafael. O Gott, wie
müde war er, bis in die Knochen und bis auf den Grund seiner Seele. Trotz
seiner edelmütigen Überlegungen hätte er nichts lieber getan, als Trost in
Annies Armen zu suchen und sich in der Hitze ihrer Leidenschaft zu verlieren.
Ein Kind mit ihr zu zeugen, noch heute nacht, einen Sohn oder eine Tochter, die
weiterleben würden, sobald er nicht mehr war. Das Bedürfnis danach war so
drängend und so hoffnungslos, daß er fast geweint hätte vor Enttäuschung. »Laß
mich allein«, murmelte er. »Bitte.«
Annie betrachtete ihn lange, und er
las die verschiedensten Empfindungen in ihren blauen Augen - Enttäuschung und
dann Zärtlichkeit, gefolgt von Hoffnungslosigkeit. Da sie auf der ersten Stufe
stand, befand sich ihr Gesicht auf Höhe von Rafaels, und sie beugte sich vor
und küßte seine Stirn. »Ich weiß, daß du es gut meinst«, sagte sie weich, während
der Kuß auf seiner Haut brannte wie der Fingerabdruck eines Racheengels, »aber
du brauchst mich, Rafael. Du brauchst meine Liebe und meine Hilfe. Laß mich dir
beistehen, wie es mir bestimmt ist.«
Er
Weitere Kostenlose Bücher