Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
schloß die Augen und dachte an
seine schöne, tapfere Frau zurück. Georgiana war seine Gehilfin und Geliebte
gewesen. Sie hatte ihren Platz an seiner Seite eingenommen und war überzeugt
gewesen, daß sie dazu bestimmt war, sein Leben mit ihm zu teilen. Und sie hatte
in der Tat auch neben ihm gestanden, als die Kugel eines Mörders ihre Brust
durchbohrte und ihr Herz zerriß.
»Nein«, sagte er, sowohl zu Annie
wie zu der Erinnerung daran. Es war zu leicht, sich vorzustellen, daß Annie auf
die gleiche Weise starb. »Jesus, nein.«
Annie legte eine kühle Hand an sein
Gesicht. »Ich liebe dich«, erwiderte sie.
Sie hatte es ihm schon des öfteren
gesagt, aber jetzt erkannte Rafael, daß es ihr ernst gemeint war, und eine
furchtbare Angst um sie erfaßte ihn. Er mußte das Unheil irgendwie von ihr
abwenden, mußte sie dazu bringen, ihn nicht mehr zu lieben, bevor es zu spät
war.
Als Rafael sprach, war es mit kalter
Ablehnung, obwohl er in Wahrheit etwas ganz anderes für Annie Trevarren empfand;
etwas, das er noch nicht bereit war zu benennen. »Du bist nicht die erste junge
Frau, die diesen Fehler macht«, begann er. »Aber Tatsache ist, daß ich deine
zärtlichen Gefühle nicht erwidere. Ich wollte eine Frau gestern nacht, und du
warst da, willig und noch unberührt, und ich habe dich benutzt.«
Alle Farbe wich aus Annies Wangen,
und Rafael biß die Zähne zusammen, um die Lüge nicht zurückzunehmen. Zu ihrem
Verdienst mußte gesagt werden, daß sie die Hand hob und ihn so hart ins Gesicht
schlug, daß er den Hieb bis in die Fußsohlen verspürte. Tränen glitzerten in
ihren Augen, als sie ihn sein Kinn berühren sah, aber er begriff sehr schnell,
daß es keine Tränen des Bedauerns waren, sondern purer Wut entsprangen.
»Du kannst lügen über deine Gefühle,
soviel du willst, Rafael«, zischte Annie, »aber es ist bereits zu spät, denn
dein Körper hat mir gestern die Wahrheit verraten!«
Rafael schloß gequält die Augen und
nahm all seine Willenskraft zusammen. »Nein, Annie«, behauptete er. »Du irrst
dich. Gestern nacht hast du geglaubt, was du glauben wolltest, weil du zu naiv
warst, um die Wahrheit zu erkennen.«
Sie starrte ihn aus tränenfeuchten
Augen an, und ihre Wangen, eben noch leichenblaß, wurden plötzlich rot vor
Zorn. »Du machst mir etwas vor«, erklärte sie mit unerschütterlicher
Überzeugung. »Du willst mich schützen, mich davon abbringen, dich zu lieben,
damit ich nicht verletzt werde. Aber dazu ist es zu spät, Rafael. Gott weiß,
daß du es nicht verdient hast, aber ich habe dir schon vor langer Zeit mein
Herz geschenkt, und das ist nicht mehr rückgängig zu machen!«
Nach diesen Worten wandte Annie sich
abrupt ab und floh die Treppe hinauf, während Rafael ihr nachstarrte und sich
fragte, wann genau er die Kontrolle über die Situation verloren haben
mochte.
Falls er sie überhaupt je
kontrolliert hatte ...
Was hattest du denn erwartet? fragte Annie sich. Ein Bekenntnis
unsterblicher Zuneigung? Einen Heiratsantrag? Rafael fühlte sich in die
Ecke gedrängt; er kämpfte um sein Leben. Er war ehrlich zu ihr gewesen, bevor
er in ihr Bett gekommen war, und hatte ihr erklärt, daß er ihr nicht mehr
bieten konnte als die Freuden einer einzigen Nacht mit ihm. Wie hatte sie sich
bloß einbilden können, daß sich danach etwas geändert hatte?
Annie wischte wütend mit dem Handrücken
ihre Tränen ab. Sie war überglücklich gewesen vor Erleichterung, als sie Rafael
auf dem Hof erblickte, weil sie bis zu diesem Augenblick befürchtet hatte, er
könne tot sein oder im Sterben liegen. Sie hatte den Kopf verloren, schlicht
und einfach, und mußte sich bei ihm entschuldigen.
Sie ging zum Waschtisch und kühlte
ihr heißes Gesicht; dann blieb sie einen Moment vor dem Spiegel stehen und
überlegte, ob sie Hosen und Hemd gegen ein Kleid austauschen sollte. Zum
Schluß jedoch blieb sie, wie sie war, und begab sich zu Rafaels Arbeitszimmer
auf der anderen Seite der Burg.
Doch sie hatte den Weg umsonst
gemacht; der Raum war leer und dunkel, was nur bedeuten konnte, daß Rafael entweder
in seinem Schlafzimmer oder in der Küche war. Es war möglich, daß er Hunger
hatte nach der Reise und die Dienstboten nicht aus ihrem wohlverdienten Schlaf
aufwecken wollte. Es war allerdings genauso gut denkbar, daß er zu Bett
gegangen war und bereits schlief. In diesem Fall würde er bestimmt keine
Störung willkommen heißen, egal, wie edel die Absichten des Eindringlings auch
sein
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