Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
mochten.
Annie ging in die Küche hinunter und
traf auch hier niemand anderen außer einer grauen Katze an, die auf dem Herd
schlief.
Obwohl Annie überlegte, daß sie
Rafael auch am Morgen ihre Entschuldigungen überbringen konnte, war sie enttäuscht.
Sie wußte, daß ihr Gewissen ihr die ganze Nacht keine Ruhe lassen würde, und im
übrigen würde Rafael vermutlich längst zu irgendeiner Mission aufgebrochen
sein oder mit seinen Beratern zusammensitzen, wenn sie zum Frühstück
hinunterkam.
Es konnten Tage vergehen, bis sie
ihm sagen konnte, daß es ihr leid tat. Und das war eine Aussicht, die sie
unerträglich fand.
Resolut ging sie durch die dunklen
Korridore, als einzigen Lichtspender eine kleine Kerze in der Hand. Nachdem sie
recht weit gegangen war, erreichte sie endlich Rafaels Schlafzimmer.
Ein goldener Lichtschimmer drang
unter der Tür hervor. Annie zögerte kurz, dann klopfte sie an das massive Holz.
Eine erstickte Antwort ertönte —
Annie, die es für eine Aufforderung einzutreten hielt, drehte den schweren,
bronzenen Türknauf um.
Rafael stand vor dem Kamin, nackt
bis auf ein Handtuch um seine Hüften und das Haar noch naß von einem Bad. In
einer Hand hielt er ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit darin.
Als er Annie erblickte, ließ er das
Glas fast fallen.
»Ich dachte, du hättest mich
hereingebeten«, sagte sie und schloß die Tür, blieb aber in ihrer Nähe stehen.
Rafaels Gesichtsausdruck war
unergründlich. »Ich kann nur hoffen, daß der Teufel persönlich dir auf den
Fersen ist, Annie«, warnte er. »Denn eine andere Entschuldigung werde ich nicht
akzeptieren.«
Sie errötete angesichts der
stillschweigenden Folgerung, sie könne aus unschicklichen Motiven in Rafaels
Zimmer gekommen sein. Natürlich lag dergleichen ihr nicht fern, keineswegs,
aber da es wirklich nicht ihre Absicht gewesen war, fühlte sie sich
gekränkt. »Ich bin nicht hier, um dich zu verführen«, erwiderte sie kühl. »Ich
kam, um mich zu entschuldigen, obwohl ich mich jetzt ganz offen gestanden
frage, ob es nicht reine Zeitverschwendung ist.«
Er verdrehte die Augen und murmelte
etwas, das wie ein Flehen um Geduld klang. »Und was hat dir diesen noblen
Gedanken eingegeben?«
Annie bewahrte Ruhe, wenn auch
mühsam. »Vielleicht hättest du selbst in St. Apasia zur Schule gehen sollen,
anstatt Phaedra hinzuschicken. Die Nonnen hätten dir dann womöglich
beigebracht, rücksichtsvoll zu sein, wenn jemand versucht, sich zu
entschuldigen.«
Rafael stellte das Glas ab und
verschwand hinter einer Spanischen Wand. Als er zurückkam, trug er einen dunkelgrünen
Morgenmantel. Erst jetzt beantwortete er Annies Frage. »Haben sie dir je
gesagt, diese klugen Nonnen, daß es mehr als unschicklich für eine junge Dame
ist, einen Mann in seinem Schlafzimmer aufzusuchen?«
Sie schluckte. »Nein. Das haben sie
nicht gesagt.«
»Das erklärt dann ja wohl alles«,
bemerkte Rafael, nahm das Glas wieder auf und betrachtete Annie über seinen
Rand.
Sie glaubte, jetzt genug erduldet zu
haben. »Willst du nun, daß ich mich entschuldige, oder nicht?« fragte sie
ärgerlich.
Es sah so aus, als ob Rafaels Augen
zwinkerten, aber es hätte auch der Widerschein des Kerzenlichts sein können, statt
Belustigung. »Oh, selbstverständlich, Miss Trevarren. Gestehen Sie mir ruhig
Ihre Sünden.«
»Wenn du unverschämt sein willst,
nur zu«, entgegnete Annie. »Ich kam, um dir zu sagen, daß es mir leid tut, mich
dir an den Hals geworfen zu haben, als du heute abend aus Morovia
zurückkehrtest. Aber es war nur, weil ich so froh war, daß du noch lebst.«
Rafael trank einen Schluck Brandy
und dachte über ihre Worte nach. Nach langem Schweigen antwortete er schließlich:
»Danke. Daß du froh warst, daß ich noch am Leben bin,
meine ich.«
Annie hob ärgerlich ihr Kinn. »Wenn
Sie weiterhin diese Haltung einnehmen, Sir, muß ich meine Ansicht vielleicht
wieder ändern.«
Er lachte und hob beifällig das
Glas, doch dann wurde er wieder ernst. »Ich verstehe noch immer nicht, warum du
glaubtest, du müßtest dich bei mir entschuldigen.«
Ihre Lippen waren ganz plötzlich
trocken, sie befeuchtete sie mit der Zungenspitze. »Weil ich unsere Abmachung
vergessen hatte.«
»Unsere Abmachung?« fragte Rafael
erstaunt.
Sie nickte. »Du sagtest mir, bevor
wir uns liebten, daß wir danach vergessen, und so weitermachen müßten, als ob
nichts geschehen wäre. Ich habe deine Bedingungen akzeptiert, doch heute abend
...« Annie verstummte
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